ahavta+ || Der jüdische Christus und die Trinität
Vor einer Woche schrieb ich über einen von Juden abgehobenen und distanzierten Jesus am Eingang des Bremer Doms, der es ermöglicht, Juden verächtlich zu machen:
Während des Bremer Kirchentags 2009 wurde schließlich das Domportal „zum Mahnmal umfunktioniert“, wie eine Bremer Zeitung schrieb, und eine Gedenktafel neben dem Eingang angebracht.
Genau dasselbe billigte der Bundesgerichtshof nun dem die Juden verhöhnenden Schwein an der Wittenberger Stadtkirche zu: Zwar sei das Relief „in Stein gemeißelter Antisemitismus“, doch das Bodenrelief von 1988 und eine Informationstafel würden aus dem „Schandmal“ ein „Mahnmal“ machen – das „Judensau-Relief“ darf bleiben.
Die Wirkung eines Bildes kann man so leicht jedoch nicht umdrehen! Und aus einer judenfeindlichen oder -distanzierten Kirche der Vergangenheit wird durch einige Texte und Erklärungen von Kirchenparlamenten und Bischöfen noch keine Kirche, die ihrem jüdischen Herrn und Meister folgt.
Rafael Seligmann schreibt daher bei Cicero mit Recht:
Verschwurbelte Erklärungstafeln etc. sind lediglich Dokument der Hilflosigkeit. (…) Hat sich nicht ein Gottesmann überlegt, was der Jude Jesus beim Anblick des Standbildes empfunden hätte?
„Kein salomonisches Urteil“ nennt ebenfalls bei Cicero der Oldenburger Professor Volker Boehme-Neßler die Entscheidung des BGH:
Jetzt liegt der Ball wieder im Feld der Kirche. Sie hat es in der Hand, durch eine kluge Entscheidung den öffentlichen Raum zu befrieden und einen souveränen Beitrag zur Antisemitismusdebatte und zur kritischen Kirchengeschichte zu leisten. Bisher hat sie das nicht getan. Ihr Umgang mit dem Problem ist von Anfang an kleinlich, bürokratisch und rechthaberisch. Sie hat sich einem echten Gespräch verweigert und sich hinter rechtlichen Argumenten versteckt. Das wirft kein gutes Licht auf eine Institution, die doch eigentlich offen, zugewandt und christlich sein will. Vielleicht schafft es die Kirche jetzt, dieses Urteil nicht als juristischen Sieg zu verbuchen, sondern als Chance, das Problem der „Judensau“ an der Wittenberger Kirche großzügig, geschichtsbewusst, selbstkritisch und souverän zu lösen. Dann wäre etwas gewonnen – für die Kirche als Institution und die Gesellschaft insgesamt.
Eine Leserin aus Magdeburg schrieb mir:
Ich glaube, auch bei denen, die – wie ich auch – der Meinung sind, ein Spottbild wie an der Wittenberger Stadtkirche, sollte bleiben (aber natürlich mit deutlicher Ablehnung und Verdammung), haben Gründe, die in die Tiefe gehen – weil nämlich nichts und auch nicht das Entfernen und Zuhängen oder ins Museum-Bringen die große Schuld wegwischen kann, die diese Bilder symbolisieren, und diese Schuld hat sich ja durch so viele Jahrhunderte (und bis heute auch noch) immer und immer wiederholt. Darum müssen wir sie doch vor Augen behalten, um nicht zu vergessen, um wieder und wieder erinnert zu werden, und unsere Reaktion darauf – Schuldbekenntnis, Absage an Geist und Inhalt dieser Bilder – muss in diesen Kontext gestellt und dort klar und öffentlich deutlich gemacht werden (und es muss ein Bekenntnis der Kirche sein, nicht eine Aussage in einem Museum).
Ich stimme zu. Für eine Entfernung des Schmähreliefs hatte ich übrigens gar nicht plädiert. In meiner Antwort nach Magdeburg versuchte ich, mein Anliegen zu verdeutlichen:
Ich meine vielmehr: So lange die christliche Gemeinde sich nicht selber und nicht ihren Herrn Jesus Christus verhöhnt und beleidigt sieht, stimmt etwas noch nicht. Und das wird nicht durch Texte und Erklärungen geändert, sondern nur durch einen Lern- und Umkehrprozess, der den Juden Jesus und den jüdischen Charakter der eigenen christlichen Identität erkennt und lebt und verwirklicht.
Und davon sind wir weit entfernt. Und weil und solange das so ist, wirken die Bildwerke weiterhin unheilvoll. Und nur solange ist zu erwägen, diese Wirkung durch Verhängen oder Abhängen zu unterbinden.
Nicht eine äußere Distanzierung und Umfirmierung in ein Mahnmal ist erforderlich, sondern eine Veränderung innen, im Glauben und Leben der einzelnen wie der Gemeinde. Die Gemeinde muss sich „umfirmieren“. Sie selbst muss zum Mahnmal werden.
Wie das praktisch gehen könnte?
Ich habe einen Vorschlag. In Bremen und Wittenberg und Magdeburg wird zu Beginn jeden Sonntagsgottesdienstes ein Bekenntnis der Gemeinde auf Grundlage von Schuld und Umkehr gesprochen. Nicht nur ein negatives Bekenntnis der Distanzierung von (eigener) Judenfeindschaft, sondern vor allem ein positives Bekenntnis zu Jesus dem Juden und zu den Jüdinnen und Juden als Geschwistern im Glauben. Das Bekenntnis könnte enden mit einer Selbstverpflichtung zu Lernen und Tun.
So nannte der Schweizer Theologe Gottfried Locher sein „Neues Wort zum Sonntag“ am Trinitatis-Sonntag. Er ging dabei aus von Andrej Rubljows berühmter Dreifaltigkeitsikone:
Das Bild zeigt nichts anderes als Gott. Gott hier, aber eben nicht als einzelne Figur, sondern als Gemeinschaft von drei Personen. (…) Gott ist zwar ein Wesen, aber nicht eine Person. Der eine Gott kommuniziert auf dreierlei Art. Nun, man kann auch versuchen, das moderner auszudrücken.
Man könnte sagen, Gott hat drei Schnittstellen zur Welt. Gott spricht auf drei Kanälen, hat drei soziale Medien, auf denen er parallel kommuniziert. Was auch immer Sie wählen als Bild: Gott sagt immer dasselbe. Aber wie er es sagt, dafür hat er verschiedene Kanäle. Und es klingt auf jedem Kanal etwas anders. (…)
Die Trinität ist das Letzte, das Äußerste, was wir überhaupt von Gott wissen. Dahinter liegt nur noch das Geheimnis. Das auszuhalten ist etwas schwierig.
Papst Johannes Paul II. sagte 1986 bei seinem Besuch in Roms Synagoge:
Die jüdische Religion ist für uns nicht etwas ,Äußerliches‘, sondern gehört in gewisser Weise zum ,Inneren‘ unserer Religion. (…) Ihr seid unsere bevorzugten Brüder und, so könnte man gewissermaßen sagen, unsere älteren Brüder.
Hier haben wir das Diktum von David Flusser aus päpstlichem Mund. Jüdische Religion ist ein Teil der christlichen Religion. Juden und Christen sind Geschwister eines Vaters, sind Kinder des einzigen Gottes.
Mit jedem dieser Kinder hat Gott, wie Gottfried Locher sagt, auf einem anderen Kanal und in einem anderen Medium gesprochen. Er hat immer dasselbe gesagt, nur klingt es auf dem christlichen Kanal anders als auf dem jüdischen.
Die Trinität hilft, genau dies zu verstehen: Gott wendet sich in unterschiedlicher gleichwertiger Weise in der Tora durch Mose am Sinai seinem Volk Israel und in Jesus Christus seiner Kirche zu.
Mit „Studium in Israel“ hat Uwe Gräbe im 11. Jahrgang 1989/1990 so wie auch ich (im 1. Jahrgang 1978/1979) ein Studienjahr in Jerusalem verbracht. Später wurde Gräbe Propst zu Jerusalem (2006 bis 2012. Heute wirkt er als Nahostreferent der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS) und Geschäftsführer des evangelischen Vereins für die Schneller Schulen (EVS).
In der „Festgabe für Michael Krupp zu seinem 80. Geburtstag“, die diesem 2018 unter dem Titel „Grenzgänger“ überreicht wurde, erinnert sich Uwe Gräbe daran, wie er Gnade unter den strengen Augen des Meisters erlangte. Ich finde seine Notizen so amüsant wie aufschlussreich. Vielleicht geht es dir ebenso…
Die Website „Die Achse des Guten“ stellt in loser Folge die „100 größten Querdenker“ bzw. „Berühmte Querdenker“ vor. Für den im Negev lebenden Schriftsteller Chaim Noll gehört auch „Jeshua ben Josef, genannt Jesus Christus“ dazu.
Als Jude kann er sich besonders gut in den Juden Jesus einfühlen; es gelingen ihm eindrückliche Sätze:
Seine Auslegungen galten scheinbaren Paradoxien, deren Stoff er der hebräischen Bibel entnahm und spielerisch zuspitzte: Freiheit durch Verzicht, Seligkeit durch Leid, Triumph durch Feindesliebe, Gewinn durch Verlust. So nährte er Hoffnungen auf radikale Veränderung, plötzliche Umkehrung der Verhältnisse
Dadurch, dass er die Lehre popularisierte, wirkte er subversiv – jedenfalls in den Augen derer, die aus ihrem Wissen ein Geschäft machten.
Zu unrecht hat das Christentum seinen Tod den Juden angelastet und damit einen unsinnigen Hass gegen das Volk evoziert, dem er entstammt. Der Widerspruch zwischen ihres Heilands Jüdischsein und ihrem Judenhass hat die Kirche in schwere Konflikte gestürzt und ihre Legitimation beschädigt.
Kaum ein Mensch hat so viel Unruhe und Kontroverse ausgelöst, dabei war alles, was er sagte und tat, auf das Gegenteil gerichtet, auf Gerechtigkeit und Versöhnung. Sein Beispiel zeigt, dass ein guter Mensch ein für die Menschheit kaum zu bewältigendes Problem darstellt.
Hier kannst du Chaim Nolls Kurzbiografie des Jesus von Nazaret lesen:
Heute um 17 Uhr laden Johannes Gerloff und ich dich zur siebzehnten Folge unserer Gespräche „unter dem Feigenbaum“ ein. Magst du Teilnehmer und Gesprächspartner sein? Diesem Link musst du folgen:
Seit vielen Jahren bereits findet zwischen Iran und Israel ein unerklärter Krieg unter der Oberfläche des politischen Geschehens statt. In den letzten Wochen folgen die Aktionen darin in kürzeren Abständen. Die Situation scheint sich zuzuspitzen.
Daher habe ich Joram Oppenheimer in Herzliya in Israel gefragt, wie er die Lage beurteilt.
Er weist daraufhin, dass der Iran mit seinem klaren Ziel, atomwaffenfähig zu werden, nicht nur den Staat Israel im Visier hat, sondern auch auf seine Nachbarn schaut. Von diesen besitzen mehrere, wie zum Beispiel Indien und Russland ebenfalls eine atomare Bewaffnung.
Israel setzt alles daran, das Streben des Iran, die Atombombe zu bauen, zu sabotieren. Umgekehrt verstärkt der Iran mit sehr viel Geld seinen Einfluss in den Ländern um Israel herum. Joram nennt den Jemen, Syrien, Irak und den Libanon.
Das Gespräch ist als 11. Folge der Reihe „ma hamazaw? Was ist los in Israel?“ auf YouTube veröffentlicht.
Unterwegs zu Fuß, in Auto oder Bahn kannst du das Gespräch mit Joram Oppenheimer auch als Podcast hören. Hier die Links zu den bekanntesten Anbietern: was-ist-los-in-israel.captivate.fm/listen.