ahavta+ erinnert an die Einweihung der Erfurter Synagoge 1884
Am 30. September wird der Sofer (=Schreiber) und Rabbiner Reuven Yaacobov in einer Festveranstaltung in Erfurt unter dem Motto „Tora ist Leben – Es lebe die Tora!“ die letzten Buchstaben unter eine neue und von ihm geschriebene Torarolle setzen, die die beiden großen Kirchen der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen schenken. Anschließend wird die Tora in die „neue“ Synagoge Erfurt eingebracht werden. Die Bedeutung und den Prozess des Schreibens erläutert Rabbiner Yaacobov sehr eindrücklich in einem Film auf dem Kanal von ahavta - Begegnungen.
Die neue Torarolle „ersetzt“ in gewissem Sinne diejenigen Torarolle, die von den Frauen der Familie Cars in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 in einem Handwagen vor der Vernichtung durch nationalsozialistische Verbrecher gerettet wurde und (wie die Überlieferung sagt) in einem Kohlenkeller des Doms oder des Katholischen Krankenhauses bis zum Ende des Krieges versteckt blieb. Einzelheiten dazu hier.
Der erste Vorsitzende der jüdischen Gemeinde nach dem Krieg, Max Cars, wandte sich am 19. September 1945, also heute vor 76 Jahren, dankbar an Dompropst Joseph Freusberg:
Sehr geehrter Herr Doktor! Sie waren so gütig, Kultusgegenstände der Synagogen-Gemeinde in Verwahrung zu nehmen. Im Namen unserer Gemeinde sage ich Ihnen herzlichsten Dank. Mit vorzüglicher Hochachtung, gez. Cars.
Heute steht diese Torarolle wieder im Toraschrein der neuen Erfurter Synagoge, ist aber nicht mehr zum liturgischen Gebrauch tauglich.
Aus der bewahrten Tora wurde in der Synagoge am selben Ort, dem heutigen Max-Cars-Platz, damals Kartäuserring 14, vorgelesen. Diese Synagoge wurde am 4. September 1884 eingeweiht und nach 54 Jahren in der Pogromnacht zerstört.
Zur Einweihung wurde sie ebenfalls „neue“ Synagoge genannt, denn sie ersetzte die „Kleine Synagoge“ an der Gera hinter dem Rathaus, die 1840 fertiggestellt worden war, jedoch nach 40 Jahren für die wachsende jüdische Gemeinde zu klein geworden war.
Rabbiner Dr. Theodor Kroner verfasste zur Einweihung eine Festschrift.
Aus Anlass der Fertigstellung der neuen Torarolle überreiche ich dir heute diese Festschrift.
verfasst von Rabbiner Dr. Theodor Kroner
Die Festschrift ist von allgemeinem Interesse. Denn sie enthält – natürlich mit dem damaligen Wissensstand – eine Geschichte der Juden in Erfurt sowie einen umfangreichen Anhang, der u.a. eine Übersetzung des Judeneides enthält, der vom Mainzer Erzbischof Konrad am Ende des 11. Jahrhunderts als Stadtherr von Erfurt den Juden gegeben wurde und der älteste nachweisbare derartige Eid in deutscher Sprache ist.
Zwei Zitate aus der Festschrift möchte ich hervorheben. In poetischen Zeilen wird die Zerstörung der Erfurter jüdischen Gemeinde im Pogrom von 1349 beklagt:
Du Erfurt reich an Glanz und Pracht / Dein Reichtum hatt' dich groß gemacht, / Die Wissenschaft dir Ruhm gebracht, / Gesetz war Deiner Richter Spruch.
Rein waren dir, die Gott geweiht, / Die Jugend voller Lauterkeit, / Die Jünger anmutsvoll gereiht, / Der Geisteshelden dir genug.
Dein Rabbi Alexander glänzt, / Vom Priesterruhme reich umkränzt, / Er heiligt den, der Welten grenzt, / Ein Löwenmut sein Streben trug.
Laut jamm're ich, und schweige nicht, / Wie Sodom fiel's, das Herz zerbricht, / Der Himmel wankt, die Erde bricht, / Dein Land, es ward zum öden Bruch.
Was der Dichter über 1349 schrieb, es galt auch 1938.
Dadurch wurden auch die Hoffnungswünsche von Rabbiner Kroner durchgestrichen:
Durch den Beistand des Allgütigen hat die Synagogengemeinde Erfurt wieder eine neue Blütezeit erlebt. Durch den edleren Geist, der die Landesgesetzgebung erfüllt, durch das freundliche Entgegenkommen der verehrten Stadtbehörden ist ihr das Glück zu Teil geworden, die Wohltaten der neuen Zeit mit ihrem Aufschwung an Wissenschaft und Kunst auch ihren Einrichtungen zu Gute kommen zu lassen. (…) Möge sie wie einst in den glanzvollen Zeiten des 13., 14. und 15. Jahrhunderts wieder zu einer ruhmreichen Stätte jüdischer Wissenschaft werden und möge der Geist des confessionellen Friedens das Gedeihen der Gemeinde zu Ehren Gottes und zur Pflege der höchsten Menschheitsideale fördern!
Die Vernichtung und Zerstörung durch den Nationalsozialismus wie auch die Situation der jüdischen Gemeinden in der DDR haben dazu geführt, dass die Anknüpfung an die „glanzvollen Zeiten“ der Vergangenheit noch immer in der Zukunft liegt.
Diese Frage beantwortet Landesrabbiner Alexander Nachama in der neuen Folge der Videothek über das jüdische Leben. Er erläutert im einzelnen:
Was sagt die Tora zur Kopfbedeckung?
Warum tragen traditionell nur Männer, aber nicht Frauen eine Kopfbedeckung?
Muss es eine Kippa sein?
Gilt die Tradition der Kopfbedeckung nur für die Synagoge?
Hat die Art der Kippa etwas zu sagen?
Alle zwölf bislang erschienenen Folgen kannst du hier anschauen:
Ich wünsche dir einen schönen Sonntag sowie den Jüdinnen und Juden chag sukkot sameach zum Montag Abend beginnenden Laubhüttenfest.
Herzlich, Dein Ricklef