ahavta+ ist besorgt über Deutschland und Israel
Mehr als 25 anti-israelische und anti-jüdische Demonstrationen wurden gestern in allen Teilen Deutschlands abgehalten. Meinungsfreiheit ist das höchste gesellschaftliche Gut bei uns. Doch die Parolen, die zuletzt in Gelsenkirchen sowie gestern vor allem in Berlin gerufen wurden, und auch Transparente, die ein Palästina „vom Jordan bis zum Meer“ forderten, widersprechen einem gesellschaftlichen Grundkonsens vor dem Hintergrund unserer Geschichte.
„Nie wieder“ sollte von deutschem Boden aus die Verfolgung und Tötung, gar Vernichtung von Jüdinnen und Juden ausgehen. So lautet der in vielen Reden beschworene Konsens. Seit dem Beginn einer unkontrollierten Zuwanderung von Muslimen im Jahre 2015 gibt es eine nicht mehr zu übersehende Bevölkerungsgruppe, die mit diesem Konsens nichts zu tun haben will.
Das ist kein Problem, das der Polizei und den Sicherheitskräften zu lösen aufzugeben ist, sondern der Politik. Bis jetzt wird es von ihr ignoriert, weil sie ihren „Kampf gegen Antisemitismus“ nahezu ausschließlich als „Kampf gegen rechts“ versteht.
Das Problem zu lösen setzt voraus, es erst einmal zu benennen. Erst danach wird etwa eine konsequente Strafverfolgung und Ausweisung aktiver Judenhasser unter den Migranten möglich werden.
Antonia Yamin ist Deutschland-Korrespondentin des israelischen Rundfunks. In Berlin-Neukölln wurde sie gestern angegriffen, weil sie hebräisch sprach und als Israelin und Jüdin erkennbar wurde.
Für dich als Mitglied von ahavta+ will ich nicht nur auf die Ereignisse seit dem 10. Mai eingehen, sondern versuchen, sie einzuordnen.
Am 12. April tauchte das erste Video auf dem sozialen Netzwerk TikTok auf, das von einem in Jerusalem lebenden Araber hochgeladen wurde. Der Mann, der dieses Video hochgeladen hat, muss gedacht haben, dass es lustig ist, einem orthodoxen Juden in der Jerusalemer Straßenbahn eine Ohrfeige zu verpassen. In seinen Augen muss es amüsant gewesen sein, Juden zu demütigen und das dann mit der Welt zu teilen. Und er hatte auch keine Angst vor den Konsequenzen. Tatsächlich wurde er zwar erwischt, jedoch vom Jerusalemer Bezirksgericht wieder freigelassen.
In der Folge taten es ihm viele arabische Jugendliche nach, so dass einige in Israel bereits von einer „TikTok-Intifada“ sprachen.
Auch in der Hafenstadt Jaffa, die von Juden und Arabern gemeinsam bewohnt wird, kam es zu einem dramatischen Zwischenfall. Rabbiner Eliyahu Mali, der in Jaffa eine Talmud-Schule führt, wollte sich gemeinsam mit einem Kollegen freie Wohnungen ansehen, die er für seine Jeschiwa kaufen wollte.
Zwei arabische Einwohner der Stadt forderten die beiden Juden auf, zu verschwinden. Als der Rabbiner, der über 60 Jahre alt ist, sich weigerte, begannen die Angreifer ihn brutal zu schlagen und zu treten. Das Ganze wurde auf Kamera festgehalten.
Danach gab es etliche Fehler seitens der israelischen Sicherheitskräfte. Die Brisanz der Situation, wenn im Zuge des Ramadan Hunderttausende muslimische Gläubige zum Tempelberg und in die Al-Aqsa-Moschee gehen, um dort zu beten, wurde nicht ausreichend wahrgenommen. Die ausstehende israelische Regierungsbildung mag ihren Teil beigetragen haben.
Das Damaskustor in die Altstadt wurde gesperrt, was die arabische Bevölkerung als Demütigung wahrnahm.
Eine ultrarechte jüdische Gegendemonstration gegen die Demütigungen im Rahmen der TikTok-Angriffe führte zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, die die Polizei mit Kavallerie, Schlagstöcken, Wasserwerfen und Blendgranaten niederzuschlagen suchte.
Die Gewalt erreichte am vergangenen Montag bei Zusammenstößen zwischen der israelischen Polizei und palästinensischen Randalierern in der Al-Aqsa-Moschee am Montag einen Höhepunkt. Und hier sah die Hamas ihre Chance und Aufgabe gekommen. Das Mitglied ihres Politbüros Fathi Hammad forderte die Bevölkerung Jerusalems auf, „die Köpfe der Juden abzuschneiden“.
Als die Führung der Hamas die Fotos und Videos der Zusammenstöße zwischen israelischen Sicherheitskräften und muslimischen Demonstranten auf dem Tempelberg sah, beschloss sie einen umfassenden Krieg zu beginnen. Ihre Ziele:
Die Zeit schien für sie reif, sich in den Köpfen der Palästinenser und Muslime auf der ganzen Welt als „Verteidigerin Jerusalems“ zu etablieren.
Nachdem Mahmoud Abbas die für den 22. Mai angekündigten Wahlen in den von den Palästinensern verwalteten Gebieten westlich des Jordan abgesagt hatte, erschienen er und seine Fatah-Partei noch geschwächter als sie schon waren. Die Hamas sah ihre Chance, sich als die wahre Vertreterin der palästinensischen Interessen zu etablieren.
Die Angriffe arabischer Israelis auf jüdische Israelis wie in Jaffa boten die Gelegenheit, sich nun auch in Israel selbst zu sichtbar zu machen und die dortige arabische Bevölkerung mindestens in einen Identitätskonflikt zu ziehen. Und das ist neu: Diesmal sieht die Hamas die Araber in Israel als zentrale Achse im Feldzug gegen Israel und stachelt Konflikte mit der israelischen Regierung und der jüdisch-israelischen Bevölkerung an.
Diese Hamas-ideologisch geprägte Karikatur teilt die Farben der palästinensischen Flagge auf die drei Gebiete Gaza, Westjordanland und Israel auf. In allen drei Regionen sieht sich die Hamas jetzt, mit dem Tempelberg als Zentrum, als Palästina zusammenhaltende und prägende Kraft.
Durch ihren Krieg sieht sie diese Führerschaft ausgeübt.
Den Raketenkrieg kann und wird die Hamas nicht gewinnen. Aber sie hat Terrain in Israel selbst gewonnen, was vor kurzem noch undenkbar schien.
In den Städten Israels mit gemischter jüdischer und arabischer Bevölkerung eskalierte die Gewalt in der vergangenen Woche in zuvor unvorstellbarer Weise. Arabisch-israelische Unruhen begannen in Lod, zogen sich aber bis Haifa und Akko durch Israel. Synagogen wurden geschändet, Autos angezündet und es gab Lynchversuche von Arabern gegen Juden – und in der Folge auch von jüdischen Extremisten gegen Araber.
Es ist nicht übertrieben, von Pogromen zu sprechen. „Das ist eine Kristallnacht“, sagte der Bürgermeister von Lod, Jair Revivo, am Mittwoch. „So etwas hat es in der Geschichte Israels noch nie gegeben.“
Die jahrelangen Versuche und Anstrengungen der Kooperation und Koexistenz zwischen Juden und Arabern werden in diesen Tagen völlig zunichte gemacht. (Sabine Brandes in der Jüdischen Allgemeinen)
Dies ist der tief reichende und noch gar nicht verarbeitete Schock für die israelische Bevölkerung, das Problem, das noch lange bleiben wird, wenn die Raketenangriffe aufgehört haben: Was in Akko und Lod und Ramle und anderswo zerbrochen ist, wird lange als Wunde offen bleiben. Und es ist nicht sicher, ob sie heilen wird.
Um dieses Kapitel positiv zu schließen, sende ich dir, was Sarah Tuttle-Singer aus Jerusalem am Freitag im Angesicht der Gewalt schrieb.
Der Taxifahrer, der mir gegenüber in Jerusalem wohnt, wendet sich fünfmal am Tag nach Mekka um zu beten. „Nun, eigentlich viermal“, sagte er mir. „Ich überspringe Fajr im Morgengrauen, weil ich meinen Schlaf brauche - es sei denn, das Baby ist schon wach.“ Seit die jüngsten Spannungen zwischen unseren Gemeinschaften Jerusalem in Mitleidenschaft gezogen haben, schreibt er mir jedes Mal eine SMS, bevor er betet, um mich wissen zu lassen, dass meine Familie und ich in seinen Gedanken sind. Wenn ich heute Abend meine Schabbatkerzen anzünde, werde ich dasselbe für ihn tun.
Und nun noch mein exklusiver Beitrag für dich als Mitglied von ahavta+: Vor einem Jahr sprach ich mit dem Schriftsteller Chaim Noll über Schawuot und seinen Zusammenhang mit dem christlichen Pfingstfest. Sieh dir seinen Vortrag an!
Schreib mir doch, worüber du gerne einmal bei ahavta+ lesen würdest! Ich freue mich auf deine E-Mail und grüße dich
herzlich, Ricklef