ahavta+ || Scheidungen
Viel geschrieben wurde in den vergangenen Tagen über antisemitische Bildelemente in der Banner-Installation „People’s Justice“ des indonesischen Kollektivs Taring Padi, die Ausstellungsstück der documenta fifteen in Kassel wurde – oder von heute aus gesehen: werden sollte. Ich will mich daher nur auf einen Gesichtspunkt beschränken. Zumal es noch eine Weile brauchen wird, die Vorgänge zu ergründen.
Die Abläufe werden jedenfalls zu bedenken sein. Weshalb wurde das Banner nicht gleich zur Eröffnung der documenta fifteen gehängt, sondern erst kurz vor der Rede unseres Bundespräsidenten Walter Steinmeier? Ahnten die Verantwortlichen etwas von einem dann tatsächlich ausgebrochenen Proteststurm? Was sagt die Bildsprache eines zugehängten Bildwerkes? Was bedeutet es für den Umgang mit antisemitisch verstandenen Kunstwerken, dass die Installation schließlich abgenommen wurde? Die letzten Fragen werden sicher auch die Diskussionen um die Bremer Domtüren und die Wittenberger „Judensau“ beeinflussen.
Am vergangenen Montag hatte „sich das Kollektiv gemeinsam mit der Geschäftsführung und der Künstlerischen Leitung (der documenta fifteen) entschieden, die betreffende Arbeit am Friedrichsplatz zu verdecken und eine Erklärung dazu zu installieren.“ Da die Erklärung also zusammen mit dem verhängten Banner „installiert“ wurde, ergab sich ein neues Kunstwerk aus diesen beiden Teilen – auch wenn dieses nicht lange Bestand hatte.
Die neue Installation wurde in der Erklärung von Taring Padi ein „Denkmal der Trauer“ genannt, „Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs in diesem Moment“. Wir erlebten also denselben Vorgang wie in Bremen und Wittenberg, beschrieben in den Ausgaben #122 und #124 von ahavta+: Mittels einer öffentlichen Erklärung wird versucht, den Charakter eines antisemitischen Kunstwerks so zu verändern, dass es eine zu akzeptierende Aussage bekommt.
Nicht zu akzeptieren sind jedoch mehrere Aussagen der Erklärung. Sie verdrehen Ursache und Wirkung. Denn letztlich sei das subjektive Auge des Betrachters das Problem und nicht die antisemitischen Bildausschnitte auf dem Banner, wie etwa der orthodoxe Jude, der einen Hut mit SS-Runen trägt, oder der Soldat mit Schweinsgesicht, der einen Helm mit der Aufschrift „Mossad“ aufhat.
Seit 2002 sei das Banner in Asien „an vielen verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Kontexten gezeigt (worden), insbesondere bei gesellschaftspolitischen Veranstaltungen“. Und nie gab es einen Protest wegen antijüdischer und antiisraelischer Bildelemente. Denn „die Figuren, Zeichen, Karikaturen und andere visuellen Vokabeln in den Werken sind kulturspezifisch auf unsere eigenen Erfahrungen bezogen.“ Erst in der „erste(n) Präsentation des Banners in einem europäischen und deutschen Kontext“ also, in den kulturspezifischen Erfahrungen hierzulande wurde das Banner „mit Antisemitismus in Verbindung“ gebracht. Zum „Denkmal der Trauer“ wird das Bannerbild daher, weil „wir sind traurig darüber, dass Details dieses Banners anders verstanden werden als ihr ursprünglicher Zweck.“ Daher konnte die Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, auch „bedauern, dass auf diese Weise Gefühle verletzt wurden“.
Jüdische und nichtjüdische Deutsche verstehen also aufgrund ihrer spezifischen Geschichte und Kultur das Bild letztlich falsch, sagt die Erklärung. Sie haben offenbar eigene „Gefühle“, die dem globalen Denken entgegen laufen. Ich denke noch einmal an Wittenberg und Bremen: Jahrhundertelang bzw. seit Beginn des 19. Jahrhunderts erregten die judenfeindlichen Reliefs dort keinerlei Aufsehen oder Unruhe. Heute wohl, wenn auch nur bei einer Minderheit, die aus Juden und einigen Nichtjuden besteht.
Sind die betrachtenden Augen dieser Minderheit also letztlich das Hindernis für Kunst, weil sie „den Respekt von Vielfalt“ vermissen lässt, den die Verfasser der Kasseler Erklärung für sich in Anspruch nehmen? Juden und der jüdische Staat als Feinde einer vielfältigen Identität also? Lass dich vom Umgang mit dem Banner nicht täuschen: Viele Anhänger der „Woke“-Bewegung würden auf diese Fragen mit einem Ja antworten!
Nach dem zuletzt dir übermittelten Gespräch mit Rabbiner Andrew Steiman über die jüdische Hochzeit folgt nun das bittere Ende – jedenfalls einer jüdischen Ehe: Kann diese auch geschieden werden?
„Sie muss sogar“, antwortet der Rabbiner, „wenn sie nicht funktioniert.“ Dazu braucht man einen „Get“. Was ist damit gemeint? Und warum besteht er aus genau zwölf Zeilen?
Rabbiner Steiman berichtet erneut sehr persönlich und berührend aus seiner eigenen Familie über „Pferdefüsse“ im jüdischen Scheidungsrecht. Die jüdische Tradition kennt freilich „Reparaturen“, die mögliche Benachteiligungen zwischen Mann und Frau ausgleichen und Anpassungen an die Mehrheitsgesellschaft bzw. an die Gesetze des jeweiligen Staates vornehmen.
Das Gespräch mit mir wurde wiederum in der Erfurter Synagoge aufgezeichnet. Du erhältst es als neue Folge der Videothek des jüdischen Lebens „Frag den Rabbi!“
Männer und Frauen sprechen eine unterschiedliche Sprache. Aber manchmal gelingt ihr Zusammenleben. Auch Juden und Christen verstehen oft nicht, was die jeweils anderen sagen oder wie sie zu ihren Aussagen kommen. Trotzdem ist ein Gespräch, ein Dialog möglich, wenn wir aufhören, „den anderen von unseren Ansichten zu überzeugen“.
Das sagte Avraham Radbil, Rabbiner in Konstanz, bei der Fachtagung der Deutschen Bischofskonferenz und der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) am 3./4. November 2019 in Berlin. Du kannst dir den Redebeitrag downloaden:
In den letzten Jahrzehnten hat sich der christlich-jüdische Dialog sehr entwickelt. Den Anstoß dafür gab zweifelsohne Nostra aetate. Sowohl auf der internationalen Ebene, aber auch …
Als Bild für das neue aufeinanderzu Gehen von Juden und Christen erzählte Rabbiner Radbil einen Midrasch.
Der Midrasch erzählt eine Geschichte über zwei Brüder, die ihren Vater verloren haben. Einer der Brüder war verheiratet und lebte in einer glücklichen Familie mit mehreren Kindern. Der andere Bruder hatte leider nicht so viel Glück im Leben und war alleinstehend. Der Vater hat den Söhnen einen Sack voller Gold hinterlassen, welches unter den beiden Söhnen gerecht, je zur Hälfte aufgeteilt wurde.
Nachts konnte einer der Söhne nicht schlafen und dachte bei sich: „Ich bin alleinstehend und habe eigentlich genug Geld, um mich zu versorgen, doch mein Bruder hat eine große Familie und braucht dieses Geld viel mehr als ich.“ Der andere Bruder konnte ebenfalls nicht schlafen, ihn quälten ähnliche Gedanken: „Ich habe das Glück, eine große Familie zu haben und viel Freude an meinen Kindern zu empfinden. Doch mein Bruder ist ganz alleine und hat nicht so viel Freude am Leben. Eigentlich braucht er das Geld viel mehr als ich, denn vielleicht kann er sich wenigstens daran erfreuen“.
Zur gleichen Zeit entschlossen sich die Brüder, sich anzuziehen und im Verborgenen das Geld bei dem anderen Bruder abzustellen. Als sie sich nachts in der Mitte des Weges trafen, verstanden sie jeweils die Absicht des anderen, umarmten sich und fingen an zu weinen.
Als der Allmächtige es sah, sagte Er: „An diesem Ort möchte ich ruhen.“ Dieser Platz war der Tempelberg, wo später der Tempel stand und die ständige G-ttliche Präsenz zu spüren war. G-tt möchte an den Orten ruhen, wo es Frieden gibt, und es ist unsere Pflicht, diesen Frieden in die Welt zu bringen und ihn zu verbreiten.
Die Chansonsängerin und Schauspielerin Sandra Kreisler, Amerikanerin und gebürtige Münchnerin, schreibt auch. Im vergangenen Jahr erschien im Hentrich & Hentrich Verlag Berlin Leipzig ihr Buch „Jude Sein. Ansichten über das Leben in der Diaspora“.
Im namensgebenden Text „Jude sein“ definiert Sandra Kreisler in vier Absätzen das Besondere am Jüdischsein:
Eine der Besonderheiten der jüdischen Mentalität, auf die man immer wieder trifft, ist ein eigenartiger Kontrast – nämlich das Gegensatzpaar der besonderen Sturheit bei maximaler Flexibilität. (…)
Lassen Sie mich erklären. Zunächst muss man sich darüber klar sein, dass das israelitische Volk wirklich und wahrhaftig das einzige Volk der Welt ist, das seit seiner Entstehung – immerhin rund 5000 Jahre vor unserer Zeitrechnung – bis heute durchgehend dieselbe Sprache, und dieselbe Religion und – zumindest in Teilen – dieselbe Weltgegend ihr Eigen nennt, und nicht um die Burg davon abrücken will.
Das ist schon recht stur, finde ich.
Aber dann ist da noch eine Konstante, ebenfalls über die gesamte Dauer der Existenz der Israeliten hinweg, und die ist so ziemlich das Gegenteil des vorher Gesagten: Denn eine der grundlegenden Eigenschaften dieser Volks- und Glaubensgemeinschaft ist, dass sie von Geburt an und bis heute immer ein, nun sagen wir: Vielvölkervolk waren.
Sandra Kreislers Überlegungen ließen sie jetzt einen Podcast aufnehmen: „Israels kurze 5000 Jahre“. In jeder der wöchentlich erscheinenden Folgen erzählt sie die Geschichte der Juden im Nahen Osten so, dass man sich die Protagonisten, die Geschehnisse, die Kriege, Siege, Verluste und Veränderungen bildhaft vorstellen kann. Sie blickt mit heutigen Augen auf damalige Entscheidungen, und die Historie beginnt lebendig zu werden.
Sie erzählt spannend und modern, respektlos und mit Witz, und sie zeichnet die Personen, die Israels Geschichte formten, von den Königen David und Salomo über Cäsar, Herodes, Jesus und seinen Sprachverstärker Konstantin und so fort nach. Und so erfährt man kurzweilig und manchmal auch bissig erzählt die ganze Geschichte des Landes Israel – historisch nachprüfbar und auf unterhaltsame Weise informativ. Die Podcast-Reihe ist eine Produktion von Mena-Watch.