ahavta+ sucht nach Rabbi Nachman
In der visuellen Vielfalt, die in den Städten auf die Sinne einwirkt, dringen einige Sätze und Schriftzeichen durch die Wahrnehmung in unser Gehirn und setzen sich dort fest. Geschickt nutzen Werbefachleute unsere Fähigkeit, Bilder, kurze Sätze und Melodien zu speichern, und durch dauernde Wiederholung von Wortsequenzen auf Plakaten und in Werbefilmen wecken sie das Interesse an einem Produkt. Nach diesem Prinzip tauchten vor einigen Jahren in Jerusalem Spruchbänder mit der Aufschrift «Na Nach Nachma Nachman aus Uman» auf. Als Aufkleber stand dieser Spruch auf Windschutzscheiben und Hinweisschildern, auf Hauswänden und Fenstersimsen: «Na Nach Nachma Nachman aus Uman». Es war kein Produkt zum Kaufen, die Wortkombination erschien nie in Verbindung mit einem Gegenstand, aber immer häufiger stach der Satz «Na Nach Nachma Nachman aus Uman» ins Auge. Wie so vieles, das wir in unserer mannigfaltigen Umgebung wahrnehmen, interessierte mich der Spruch nicht. Ich konnte mit ihm nichts an fangen und fragte nicht nach seiner Bedeutung.
Seit meinen Kindertagen begleitet mich ein Lied. Häufig habe ich es gesungen und bei schweren Entscheidungen hat es mir geholfen:
Die ganze weite Welt
ist ein schmaler Steg.
Geh darüber und fürchte dich nicht,
fürchte dich nicht.
Wie sehr fürchten wir, einen neuen Weg zu beschreiten und die Angst lähmt unser Verhalten. Unüberwindbare Hindernisse baut sie in unserer Phantasie auf, entsetzliche Unglücke ruft sie in unserer Vorstellungskraft hervor und lässt uns in misslichen Zuständen verharren. Wieviel Furcht musste ich überwinden, als ich beschloss, von Deutschland nach Israel auszuwandern, meine Planstelle als Studienrätin aufgab und eine sichere Beamtenlaufbahn gegen ein unsicheres Dasein eintauschte. In schrecklichen Bildern vergällte mir die Angst jeden Schritt, denn ich hatte noch nicht entdeckt, dass jede Herausforderung ungeahnte Kräfte in uns weckt. Immer, wenn in jenen schweren Tagen der Entscheidung die Unentschlossenheit und Sorge sich mir in den Weg stellten, sang ich das Lied vom schmalen Steg: «Die ganze weite Welt ist ein schmaler Steg. Geh darüber und fürchte dich nicht.»
Wie ein eiserner Besen fegten die Worte und die Melodie die Angst fort.
In allen schwierigen Situationen ist das Lied zur Stelle. Als der Golfkrieg ausbrach und der irakische Diktator Saddam Hussein Israel mit Scud-Raketen angriff und ich mit meiner Familie in dem abgedichteten Zimmer saß, jeder von uns eine Gasmaske über das Gesicht gestülpt, sangen wir: «Fürchte dich nicht.»
Als palästinensische Selbstmörder Blutbäder in Jerusalems Autobussen anrichteten und Angst und Schrecken in die Seelen der Menschen säten, stieg ich in den Bus ein und in mir sang es: «Fürchte dich nicht.»
Wie eine Schutzwand umhüllt mich seit vielen Jahren dieses Lied, aber niemals fragte ich nach seinem Ursprung.
Eines Abends stehe ich an einer Bushaltestelle auf der Yafo-Straße, neben dem Davidka-DenkmaL Es ist ein regnerischer, nasskalter Winterabend. Die Autos sausen vorbei und verspritzen das schlammige Wasser der Regenlachen, Autobusse krachen heran und fahren mit Getöse ab, aus dem Abfallkübel neben der Haltestelle quellen Papier- und Essensreste, und eine struppige schwarze Katze macht sich über eine weggeworfene Wurstscheibe her. Sie verschwindet mit ihr in einem dunklen Hof. Ein alter Bettler mit einer löchrigen Wollmütze auf dem Kopf klimpert mit den Münzen in seiner Blechdose und hält sie den Wartenden hin: «Wohltätigkeit schützt vor dem Tod.»
Der braune Pinscher zu Füßen einer korpulenten Frau kläfft ihn an, und der Schnorrer macht einen Bogen um die Dicke und den Hund. In einem Kinderwagen quengelt ein kleinerJunge, zerrt an der geblümten Decke und seine Mutter schimpft: «Wirf die Decke nicht auf den Boden und hör auf zu weinen.»
In der Ecke des Wartehäuschens steht ein etwa zwanzigjähriges Mädchen und summt das Lied: «Die ganze weite Welt ist ein schmaler Steg. Geh darüber und fürchte dich nicht.»
Das straff zurückgekämmte dunkle Haar hat sie zu einem Zopf geflochten, und das spärliche Licht der Straßenlaterne spiegelt sich in ihren Brillengläsern. Sie trägt einen wadenlangen grauen Rock, schwarze Strümpfe und Turnschuhe und unter dem dunkelblauen Anorak einen Rollkragenpullover. An ihrer Hüfte baumelt eine Plastiktasche, in der sie nach ihrem Portemonnaie kramt. Sie holt ein paar Münzen heraus und wirft sie in die Blechdose des Bettlers.
«Gott segne dich», murmelt er, und sie antwortet: «Amen, möge Er dich auch segnen», und fährt fort, die Melodie zu summen.
«Ein schönes Lied ist das», bemerke ich.
Das junge Mädchen dreht den Kopf zu mir, schaut mich einen Moment an und sagt: «Es ist ein Lied von Rabbi Nachman.»
«Wer ist das?», frage ich.
Erstaunt über so viel Unwissenheit, deutet sie auf ein Transparent, das über einen Toreingang gespannt ist: «Es steht doch über all geschrieben: Na Nach Nachma Nachman aus Uman.»
Bevor ich weiterfragen kann, eilt sie dem ankommenden Bus entgegen, steigt ein und fährt davon.
Plötzlich hatte mein Lied einen Verfasser, einen Dichter, einen Ursprung: Rabbi Nachman.
Aus: Lea Fleischmann, Rabbi Nachman und die Thora. Das Judentum für Nichtjuden verständlich gemacht, 1. Aufl. 2000
In Folge 18 der Videothek des jüdischen Lebens trägt Landesrabbiner Alexander Nachama aus der Torarolle der Erfurter Synagoge vor, wie das erste Kapitel der Bibel, die Schöpfung der Welt in sieben Tagen, im Gottesdienst gelesen wird.
Er erläutert aus der jüdischen Tradition, wie die Tage der Erschaffung der Welt und ihre Zählung verstanden werden. Woher kommt die Zählung der Jahre im jüdischen Kalender?
Weiterhin wird die Schreibweise des Textes in den Torarollen erläutert.
Die weiteren Folgen der Reihe „Frag den Rabbi!“ kannst du unter dem folgenden Link aufrufen:
Das Gedenken der geschehenen millionenfachen Verbrechen am jüdischen Volk ist das eine. Das andere ist, was wir daraus lernen und wofür wir danach leben. Den Weg finden wir nicht ohne Gebet.
Eine Möglichkeit, wie du sprechen kannst, hat Pfarrer Dr. Matthias Loerbroks für den heutigen Sonntag vorgeschlagen. Mit einer kleinen Änderung möchte ich es dir geben:
„Das Licht, das Israel aufgegangen ist, leuchtet nun auch in der Welt der Völker“ – denn es wurde zu lange gelehrt und gepredigt, dass das Licht aus Israel auf die Völker übergegangen sei und das jüdische Volk seitdem im Dunkel leben würde.