ahavta+ || Trauer und Hoffnung
Einem großen Terroranschlag des PIJ, des Palästinensischen Islamischen Jihad ist Israel mit Luftangriffen in Gaza zuvorgekommen. Jetzt wird die israelische Zivilbevölkerung angegriffen und mit Raketen beschossen.
Ma hamazaw? Was ist los in Israel? Das habe ich Joram Oppenheimer in Herzlia gefragt.
Die jüngste Konfrontation zwischen Israel und dem von der Hamas regierten Gazastreifen hat ihren Ursprung nicht bei der Hamas. Sie ist ausschließlich gegen den Palästinensischen Islamischen Jihad (PIJ) und ihren militärischen Arm gerichtet. Im ersten, sehr gezielten Luftangriff wurde der PIJ-Kommandeur im nördlichen Gazastreifen, Taisir Jabari, in seiner Wohnung getötet. In folgenden Einsätzen wurden zahlreiche Waffen- und Munitionslager sowie Raketenbasen zerstört. Zuletzt starb in der Nacht auf heute, Sonntag, auch der Kommandeur der Terror-Gruppe im Süden Gazas, Khaled Mansour, im Verlauf eines israelischen Einsatzes. Die Operation wird gleichwohl noch länger andauern, vielleicht eine Woche, sagt Joram. Im Podcast von ahavta - Begegnungen erläutert er die Hintergründe der „Operation Morgendämmerung“:
Hier sind die direkten Links dorthin, wo du sonst deine Podcasts hörst:
Alle Augen richten sich auf die Hamas, schreibt David Horovitz in seinem gestrigen Kommentar für die Times of Israel. Seinen Beitrag füge ich dir in Ergänzung zu Joram Oppenheimer ein:
Die jüngste Konfrontation zwischen Israel und den Terroristen des Gazastreifens hat ihren Ursprung nicht in dem von der Hamas regierten Streifen.
In gewisser Weise begann sie am Montagabend in Jenin, als die IDF den 61-jährigen Anführer der Terrorgruppe Palästinensischer Islamischer Dschihad (PIJ) im Westjordanland, Bassem Saadi, verhafteten. Saadi, der von Israel wiederholt inhaftiert worden war, hatte in den letzten Monaten nach Angaben des Sicherheitsdienstes Schin Bet „eine bedeutende militärische Kraft für die Organisation im [nördlichen Westjordanland] im Allgemeinen und in Jenin im Besonderen“ aufgebaut.
In einem noch größeren Ausmaß kann sie jedoch auf den Iran zurückgeführt werden, der Berichten zufolge in den letzten Jahren Dutzende, wenn nicht Hunderte von Millionen Dollar an den PIJ weitergeleitet hat, um dessen Rekrutierung und Bewaffnung sowohl im Gazastreifen als auch im Westjordanland zu finanzieren.
Mehr als drei Tage lang verhängte Israel nach Saadis Verhaftung angesichts der nach israelischen Angaben vom Freitag „konkreten“ Drohungen, der Islamische Dschihad wolle sich für seine Gefangennahme rächen, indem er israelische Zivilisten und Soldaten in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen ins Visier nimmt, eine teilweise Ausgangssperre für seine Bewohner in der Nähe des Streifens, verstärkte seine Truppenstationierung und forderte den Islamischen Dschihad über ägyptische Vermittler auf, sich zurückzuhalten.
Nach Angaben des IDF-Sprechers Ran Kochaw in einem Interview mit Kanal 12 am Freitagabend wurde, als klar wurde, dass ein vom PIJ-Kommandeur im nördlichen Gazastreifen, Taisir Jabari, inszenierter Angriff geplant war, und nachdem die IDF die notwendigen Informationen gesammelt hatte, ein gezielter Angriff auf Jabari in seiner Wohnung angeordnet. Auch andere Mitglieder seiner Zelle, die vorhatten, Israelis in der Nähe der Grenze „niederzumähen“, wurden ausgeschaltet.
Während Israel dann weitere Angriffe auf PIJ-Ziele im gesamten Gazastreifen durchführte und die Terrorgruppe Geschosse auf das Zentrum und vor allem den Süden Israels abfeuerte, wurde der PIJ-Kommandeur von seinen Geldgebern in Teheran empfangen. Von der iranischen Hauptstadt aus erklärte Siad Nachaleh: „Wir ziehen in die Schlacht. Nach einem Angriff gibt es keinen Waffenstillstand“.
Doch Nachaleh will nicht, dass der PIJ allein kämpft. „Dies ist ein Test für alle Teile des Widerstands“, erklärte er und forderte die Hamas auf, sich ihm anzuschließen.
Die Hamas und der weitaus kleinere und weniger schlagkräftige PIJ teilen das strategische Ziel, Israel zu vernichten, aber ihre kurzfristigen Interessen sind nicht immer deckungsgleich. Da der PIJ keine Pläne für eine Regierungsführung und keine zivilen Verantwortlichkeiten hat, muss er seine iranischen Unterstützer zufrieden stellen, wenn er Israel im Moment maximalen Schaden zufügt, während die Hamas etwas zu verlieren hat.
Sie weiß, dass die IDF eine sehr lange Liste potenzieller Hamas-Ziele haben, sollte sich der Konflikt ausweiten.
Sie möchte außerdem möglicherweise die Ägypter nicht verärgern, die die Südgrenze des Gazastreifens kontrollieren und die, wie so oft in der Vergangenheit, versuchen, ein Ende der Kämpfe zu vermitteln.
Und sie ist sich wohl bewusst, dass sich die klamme Wirtschaft des Gazastreifens eine weitere Zerschlagung des Streifens kaum leisten kann. Die Bewohner des Gazastreifens haben in den besten Zeiten nur begrenzten Strom, und das einzige Kraftwerk im Gazastreifen stand schon vor dem Ausbruch des Konflikts am Freitag kurz vor der Schließung, weil es keine Brennstofflieferungen aus Israel gab – eine Folge der Abriegelung in dieser Woche. Die Agrarexporte sind aus demselben Grund ins Stocken geraten und verrottet.
Etwa 15.000 Menschen aus dem Gazastreifen, die normalerweise in Israel arbeiten – die Regierung hat diese Zahl in den letzten Monaten schrittweise erhöht –, konnten dies diese Woche nicht tun und müssen dringend wieder ein Einkommen erzielen. Wenn sich die Lage verschlimmert, wird sich die Unzufriedenheit mit der Hamas-Herrschaft noch verstärken.
Israel tat in den ersten Stunden des Konflikts sein Möglichstes, um zu betonen, dass es ausschließlich auf PIJ-Einrichtungen abzielte, nicht auf die der Hamas. Die IDF führten „eine gezielte Kampagne gegen den PIJ“ durch, sagte Sprecher Kochaw wiederholt in seinem Fernsehinterview, und Militärbeamte äußerten sich in Mediengesprächen in gleicher Weise. (…)
Die Frage, die den Verlauf dieses neuen, von der PIJ ausgelösten Anstiegs der Gewalt bestimmen wird, ist, ob die Hamas der Ansicht ist, dass ihren Interessen am besten gedient ist, wenn sie sich heraushält oder sich einmischt. (…)
Die Beziehungen der Hamas zum Iran sind in letzter Zeit relativ eng geworden, obwohl sie ausdrücklich kein klassischer Stellvertreter Teherans ist. Und sie ist prinzipiell immer an einer Konfrontation mit Israel interessiert. Aber will die Hamas in eine neue Runde hineingezogen werden, von ihrem viel kleineren lokalen Verbündeten und Rivalen und vom Iran, zu einem Zeitpunkt und in einem Kontext, den sie nicht selbst gewählt hat?
Wir werden es früh genug erfahren.
Am 9. Aw gedenkt das jüdische Volk der Tempelzerstörung, es ist der traurigste Tag im jüdischen Kalender und mitunter wird er als „das schwarze Fasten“ bezeichnet – im Gegensatz zum Jom Kippur, der auch „das weiße Fasten“ genannt wird. Über drei Wochen hinweg hatten sich Juden und Jüdinnen auf Tischa beAw vorbereitet. Diese drei Wochen „in der Bedrängnis“ begannen mit dem Fastentag des 17. Tammus, an dem laut Tradition die Stadtmauern Jerusalems eingerissen wurden.
Rabbinerin Dr. Dalia Marx führt dich durch den heutigen Trauertag. Der folgende Beitrag zum Download ist ihrem Buch „Durch das Jüdische Jahr“, aus dem Hebräischen übersetzt und bearbeitet von Rabbinerin Ulrike Offenberg und erschienen bei Hentrich & Hentrich entnommen (entnommen mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift BlickPunkt.e, die ich dir empfehle).
aus: „Durch das jüdische Jahr“ von Rabbinerin Dr. Dalia Marx
Rabbiner Lord Jonathan Sacks זצ"ל hatte unter den ungewöhnlichen und schwierigen Umständen aufgrund der Coronavirus-Pandemie vor zwei Jahren zu Tischa beAw eine Videobotschaft veröffentlicht. Zum Gedenktag der Zerstörungen und Verwüstungen am 9. Aw habe ich für dich ein gekürztes und leicht bearbeitetes Transkript dieses Videos erstellt, das den mündlichen Charakter der Worte von Rabbi Sacks behält. Denn es ist in den erneut schwierigen Umständen des Krieges in der Ukraine mit seinen weltweiten Folgen immer noch und wieder bedeutsam.
Wir sind das Volk, das erbaut
Die großen Propheten des Untergangs waren auch die größten Propheten der Hoffnung. Schauen wir uns zum Beispiel Jesaja an, dessen Worte wir am Schabbat Chason unmittelbar vor Tischa beAw sprechen. Er übt eine vernichtende Kritik an Jerusalem: „Wenn du deine Hände (im Gebet) zu mir ausstreckst, werde ich meine Augen schließen“, sagt Gott, „je mehr du betest, desto weniger werde ich zuhören.“ (Jesaja 1,15)
Doch gleich im nächsten Kapitel spricht Jesaja die wohl berühmtesten Worte der Hoffnung, der Vision und des Friedens, die die Welt je gekannt hat. Die gleichen Worte sind dem Gebäude der Vereinten Nationen in New York gegenüber eingraviert: „Viele Völker werden kommen und sagen: 'Lasst uns auf den Berg des Herrn steigen'... und die Welt wird kommen... denn das Wort der Tora wird von Zion ausgehen und das Wort Gottes von Jerusalem... und sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Kein Volk wird mehr das Schwert gegen das andere erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr lernen.“ (Jesaja 2,3f.)
Von allen Propheten der Bibel ist Jesaja der Dichter der Hoffnung. So sagte der Mann, der den Untergang der Stadt ankündigte, auch das neue Zeitalter an, das eines Tages segensreicher sein würde als die Verwüstung.
Auch Jeremia gibt uns zwei der drei Haftarot (Prophetenlesungen), die zu Tischa beAw führen, und von allen Propheten war er derjenige, der die schrecklichen Ereignisse, die bald eintreten würden, am deutlichsten voraussah. Im dritten Kapitel des Buches Echa (Klagelieder) sagt er: „Ich habe es tatsächlich gesehen, ich habe es nicht nur vorhergesehen, wie andere Leute es taten, ich habe es tatsächlich erlebt“.
Es war derselbe Jeremia, der im Namen Gottes sagte: „Es gibt Hoffnung für eure Zukunft“ (siehe Jeremia 31,16). Und: „So wie ich mich in die Zerstörung gestürzt habe, werde ich dieselbe Tatkraft nehmen und sie zum Aufbauen und Pflanzen verwenden (Jeremia 31,34f.). Jeremia ist die Stimme, die sagt, dass das jüdische Volk das ewige Volk sein wird.
Wie kommt es, dass diese größten Propheten des Untergangs auch zu größten Propheten der Hoffnung wurden? Weil sie sich auf Gottes Verheißung im Wochenabschnitt Bechukotai verließen: „Auch wenn sie im Land ihrer Feinde sind, werde ich sie nicht so verachten, dass ich sie vernichte und damit meinen Bund mit ihnen ungültig mache“ (3. Mose 26,44). Gott sagt: „Ich werde mein Versprechen halten. Ich werde nicht zulassen, dass sie vernichtet werden.“ Die Propheten hatten Gottes Wort, und das gab ihnen Hoffnung.
Wir haben es hier mit einem einzigartigen Phänomen zu tun.
Die Juden gaben der Welt diese Vorstellung von der Zeit als einer Geschichte der Hoffnung, was bedeutet, dass das, was verloren ist, wiedergewonnen werden kann, dass das, was zerstört ist, wieder aufgebaut werden kann, und dass das, was verloren geht, eines Tages wiederkehren kann. Unsere Propheten waren in der Lage, über den Horizont der Geschichte hinaus zu sehen, so dass sie dort, wo alle anderen den Untergang sahen, auch die Hoffnung sahen, die direkt hinter diesem Horizont lag, und sie verstanden, dass es einen Weg von hier nach dort gibt. Das ist wirklich eine bemerkenswerte Sichtweise.
Lass mich mit dir einen Moment teilen, der meiner Meinung nach fast der mystischste Augenblick meines gesamten Lebens gewesen ist. Es geschah in den späten 1960er Jahren. Ich besuchte zum ersten Mal das nach dem Sechs-Tage-Krieg wiedervereinigte Jerusalem und saß auf dem Har haZofim, dem Berg Skopus, der natürlich von Anfang an (aber seit 1949 nicht mehr wirklich genutzt) der Sitz der Hebräischen Universität war. Und ich stand am Rande von Har haZofim und blickte auf den Tempelberg hinunter, und plötzlich wurde mir klar, dass dies die Stelle war, an der Rabbi Akiva stand in der berühmten Geschichte am Ende des Traktats Makkot, als er und seine Kollegen auf den in Trümmern liegenden Tempel blickten und sie weinten und er sich zu weinen weigerte.
Und ich dachte, dass Rabbi Akiva vor 2000 Jahren genau dort gestanden, wo ich jetzt stand, und ich wollte sagen: Rabbi Akiva, bitte sag mir, wenn du gewusst hättest, dass es so lange dauern würde, fast 2000 Jahre, hättest du dann noch geglaubt? Und in diesem Moment wurde mir klar, dass er es natürlich getan hätte. Denn das ist es, was es ausmacht, ein Jude zu sein. Man darf die Hoffnung nie aufgeben. Denn wir sind das Volk, das der Welt das Konzept der Hoffnung gegeben hat. Und wir haben den Glauben bewahrt und nie aufgegeben, und wir haben 26 Jahrhunderte lang ohne eine einzige Pause die Zeile aus Psalm 137 befolgt: „Vergesse ich dein, Jerusalem, so werde meine Rechte vergessen.“ Und weil wir die Hoffnung nie aufgegeben haben, sind wir schließlich nach Jerusalem zurückgekehrt. Und wir waren die Menschen, die dies fast 2000 Jahre nach Rabbi Akiva erleben durften.
Die Hoffnung baut die Ruinen von Jerusalem wieder auf. Das jüdische Volk hielt die Hoffnung am Leben und die Hoffnung hielt das jüdische Volk am Leben.
Ich glaube, das ist die Botschaft von Tischa BeAw. Und es ist die Botschaft, die die Welt gerade jetzt braucht. Denn wir müssen wissen, dass man das, was man verloren hat, wiedergewinnen kann. Und was ruiniert wurde, kann wieder aufgebaut werden. In unserer Welt ist viel verloren gegangen oder zerstört worden – wirtschaftlich, politisch, bildungspolitisch und vor allem gesellschaftlich. Und wir müssen zeigen, was es heißt, die Hoffnung niemals aufzugeben – dass wir wieder erbauen können, was ruiniert worden ist.
Die frühen Zionisten hatten eine schöne Formulierung: Liwnot uLehibanot. Erbauen und erbaut werden. Je mehr man baut, desto stärker wird man – desto mehr wird man selbst aufgebaut. Und genau das ist unsere Herausforderung. Die ganze Welt hat gesehen – okay, der Tempel ist nicht wieder aufgebaut worden – aber die ganze Welt hat Jerusalem heute gesehen. Was es bedeutet, eine Stadt zu nehmen, die ruiniert und verödet war – und sie wieder in eine der schönsten Städte der Welt zu verwandeln.
Das jüdische Volk versucht der Welt zu zeigen, was es heißt, zu erbauen. Jeder von uns sollte auf seine Weise dazu beitragen, eine zerbrochene Gesellschaft zu reparieren, und zwar auf die richtige Art und Weise – nur durch die Liebe zu anderen Menschen und die Liebe zur Arbeit. Je mehr wir aufbauen, desto mehr werden wir aufgebaut werden. Und lasst uns als das Volk bekannt sein, das nicht zerstört. Wir sind das Volk, das aufbaut.
Den Text aus Talmud Makkot 24b („Rabbi Akivas Gewissheit“) hatte ich vor einem Jahr zu Tischa beAw 5781 in ahavta+ veröffentlicht. Hier kannst du dir den damaligen Mitgliederbrief erneut zusenden lassen: https://news.ahavta.com/issues/ahavta-wunscht-juden-leichtes-fasten-691357 (dabei bitte auf „Already a member? Click here“ klicken).
Ich empfehle dir, dort auch die Beiträge „Jesus weint – Akiva lacht. Zwei Seiten der Münze“ und „Deutung von Geschichte“ nochmals zu lesen.
Es ist üblich, an Tischa beAw nicht nur das biblische Buch der Klagelieder zu lesen, sondern auch zahlreiche Kinot. Das sind hebräische Trauergedichte und Elegien aus verschiedenen Zeitaltern.
25 Kinot nach sefardischem Ritus kannst du hier hören:
Eine besonders traurige, aber auch schöne Kina möchte ich dir vorstellen. Sie endet – nachdem sie zwanzigmal den Auszug aus Jerusalem nannte – mit der Hoffnung
Und Wonne und Freude werde ich wieder genießen, Kummer und Seufzer wird schwinden einst, wenn ich zurückkehre nach Jeruschalajim.
Esch tukat – Wie Feuer loderts in mir auf – findest du mit dem hebräischen Text hier:
Die Kinnot für den Morgen von Tischa beAw im hebräischen Original.
Die deutsche Übersetzung von Rabbiner Selig Pinchas Bamberger liest du hier:
Esch Tukad ist eine Kinah für Tischa beAw. Hier in deutscher Übersetzung.
Und Kantor Sidney Ezer von der Beth Tzedec Congregation, Toronto, trägt die Kina vor: