

Discover more from ahavta - Begegnungen
ahavta+ wünscht Chanukka sameach
Das Chanukka-Fest dauert acht Tage. Der wesentliche Brauch ist, jeden Abend eine (weitere) Lampe oder Kerze an der Chanukkia, einem Leuchter mit neun Armen zu entzünden. Dabei steht ein – in der Mitte oder seitwärts stehender – Arm für die „Dienerkerze“, den Schammes (hebräisch Schammasch). Dieser wird zuerst angezündet und dann benutzt, ein Licht am ersten Abend zu entzünden, zwei am zweiten Abend, drei am dritten, und so fort.
Der Leuchter wird üblicherweise ans Fenster gestellt, so dass das Licht nach draußen dringen und gesehen werden kann, um so „das Wunder zu verbreiten“.
Im Talmud Schabbat 21b wird gesagt:
Als die Griechen in das Heiligtum eindrangen, zerstörten sie alle Ölkrüge, die sich im Heiligtum befanden, indem sie sie berührten, was sie unbrauchbar machte. Als die Hasmonäer sie besiegten und siegreich aus der Schlacht hervorgingen, suchten sie überall nach Olivenöl, um die Menora im Tempel wieder anzuzünden, konnten aber nur einen Krug Öl finden, der das Siegel des Hohepriesters trug, das von den Griechen nicht beschädigt worden war. Dieser Krug mit Öl reichte nur, um die Menora einen Tag lang anzuzünden. Es geschah ein Wunder, und die Menora brannte mit diesem Öl acht Tage lang. Im nächsten Jahr richteten die Weisen ein Fest ein, um sich an diese Tage zu erinnern und sie zu feiern, indem sie Hallel (= Psalm 113–118) sangen und besondere Dankgebete sprachen.
Im Judentum steht die Zahl 8 für Wunder, für die Übersteigung der Realität. Warum? Weil sie jenseits der 7 liegt, welche für die natürliche Welt steht – die 7 Tage der Schöpfung.
Darum ist es übrigens, wenn man nicht den Kern des Christentums aufgeben will, so wichtig, dass der Schabbat, der Samstag, der siebte Tag ist und bleibt. Im Sonntag als dem Tag der Auferweckung Jesu von den Toten – ein Wunder – liegt das Geheimnis des achten Tages. Da unsere Welt jedoch (noch) die natürliche und unverwandelte ist, kehrt der Sonntag zur 1 zurück und bildet den ersten Tag der Woche.
Folgst du jedoch dem Brauch der unerlösten Welt und nennst Montag deinen ersten Wochentag, verlierst du die Bindung an das Wunder.
Diese tiefe Wahrheit stammt von Rabbi Lord Jonathan Sacks זצ”ל. Von ihm ist auch die folgende Betrachtung zu Chanukka. Sie wird dir von ahavta+ erstmals auf Deutsch nahegebracht.
Die Geschichte hat selbst eine Geschichte. Unsere Sichtweise ändert sich im Laufe der Zeit, und manche Momente erscheinen erst im Nachhinein sinnvoll. Wir verstehen die wahre Bedeutung eines Ereignisses häufig erst viele Jahrzehnte oder manchmal sogar Jahrhunderte später. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Geschichte von Chanukka.
Auf einer Ebene ist die Chanukka-Geschichte sehr einfach. Seit den Tagen Alexanders des Großen von Makedonien befand sich Israel unter der Herrschaft des alexandrischen Reiches der Griechen. Das bedeutete, dass es im dritten Jahrhundert v. Chr. unter der Kontrolle der Ptolemäer stand, die ihren Sitz in Ägypten und Alexandria hatten. Im zweiten Jahrhundert v. Chr. kam Israel dann unter die Herrschaft der Seleukiden, die ihren Sitz in Syrien hatten.
Der Anführer der Seleukiden, Antiochus IV., der sich bescheiden Epiphanes nannte, was so viel wie „Gott hat sich offenbart“ bedeutet, beschloss, den Juden im Land Israel die Hellenisierung aufzuzwingen. Unter anderem verbot er die öffentliche Ausübung des Judentums, errichtete im Tempel eine Zeus-Statue und brachte vor dem Tempel Schweine als Opfer dar – eine Entweihung der jüdischen Werte, die von den Juden jener Zeit als Greuel der Verwüstung bezeichnet wurde.
Ein älterer Priester namens Mattitjahu, seine Söhne und ihre Anhänger, die als Makkabäer in die Geschichte eingingen, erhoben sich zum Aufstand. In den folgenden drei Jahren errangen sie einen bedeutenden Sieg über die Seleukiden, eroberten Jerusalem zurück und stellten es wieder unter jüdische Oberhoheit. Sie reinigten den Tempel, weihten ihn neu ein und entzündeten die große Menora, den Leuchter, der im Tempel stand, in einem acht Tage dauernden Fest.
Das ist die Geschichte von Chanukka, wie sie im ersten und zweiten Buch der Makkabäer überliefert ist. Aber so wurde die Geschichte in der jüdischen Tradition nicht erzählt, denn es wurde entschieden, dass die beiden Makkabäerbücher und weitere Werke als Sefarim Chizoniim, als apokryphe Bücher bezeichnet werden und nicht in die Bibel aufgenommen werden sollten. Die Chanukka-Geschichte, die an ihrer Statt erzählt wird, ist eine ganz andere, eine mit einer starken Botschaft.
Der Talmud erzählt uns, dass im ersten Jahrhundert, in den letzten Tagen des Zweiten Tempels, ein Rabbi namens Jehoschua ben Gamla ein Netz von Schulen in ganz Israel gründete. Dies hatte zur Folge, dass jedes Kind im Land ab dem sechsten Lebensjahr eine öffentlich finanzierte allgemeine Bildung erhielt. Dies war das erste Bildungssystem dieser Art in der ganzen Welt und auch ein deutlicher Hinweis auf das heute übliche jüdische Engagement für Bildung und die Sicherstellung, dass unsere Kinder in ihrem Erbe gebildet sind. Dem Talmud zufolge ist das Andenken an Rabbi Jehoschua ben Gamla gesegnet, denn ohne sein Eingreifen wäre die Tora in Israel vergessen worden. Ohne ihn hätte es kein Überleben des Judentums und letztlich keine Juden gegeben.
Was Rabbi Jehoschua ben Gamla und die anderen Weisen verstanden haben, und was zur Zeit des historischen Chanukka nicht verstanden wurde, war, dass der wahre Kampf gegen die Griechen kein militärischer, sondern ein kultureller war. Zu dieser Zeit waren die Griechen in vielen Bereichen die Größten der Welt. Ihre Fortschritte in der Kunst, in der Architektur, in der Literatur, im Drama und in der Philosophie waren unübertroffen. Noch heute sind ihre Errungenschaften nicht übertroffen. Aber die Juden glaubten dennoch, und die Geschichte hat dies sicherlich bestätigt, dass es im Judentum, im alten Israel und in seinem Erbe bis heute etwas Besonderes gibt. Etwas, für das es sich zu kämpfen lohnt. Das Judentum mit seiner Betonung der Heiligung des Lebens und der Überzeugung, dass jeder Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen wurde, enthielt ewige Wahrheiten, die wir nicht aufgeben konnten. Dies war der einzigartige Unterschied zwischen der Kultur der Griechen und der Welt der Tora und des Judentums. Daher wussten die Juden schon immer, dass der wahre Kampf nicht unbedingt auf dem physischen Schlachtfeld mit physischen Waffen ausgetragen wird, sondern in den Herzen und Köpfen der künftigen Generationen.
So wurden das Judentum und das jüdische Volk zu einem Glauben und einer Nation, die sich nicht mehr auf ihre militärischen, sondern auf ihre geistigen Helden konzentrierten. Es wurde eine Zivilisation, die in Texten, Lehrern und Lehrhäusern verwurzelt war. Wir wurden das Volk, dessen Helden Lehrer waren, dessen Festungen Schulen waren, und dessen Leidenschaft das Lernen und das Leben des Geistes war. Das Ergebnis war, dass das Judentum über die Jahrhunderte hinweg überlebte und gedieh, während das antike Griechenland, das Griechenland von Athen, das Griechenland Alexanders des Großen, unterging. Tatsächlich begann nur kurze Zeit nach den Ereignissen der Chanukka-Geschichte der Niedergang Griechenlands, und Rom trat an seine Stelle.
Das ist die Botschaft von Chanukka, und um unsere Geschichte zu erzählen, konzentrieren wir uns auf ein winziges, jedoch symbolträchtiges Detail der ursprünglichen Ereigniskette: Die Makkabäer fanden in den Trümmern und Verunreinigungen des Tempels eine Kanne reinen, unbefleckten Öls, das gerade ausreichte, um die Menora anzuzünden, bis mehr Öl beschafft werden konnte.
Einer der interessantesten Aspekte dieses Perspektivwechsels von der anfänglichen Art, die Geschichte zu erzählen, zur heutigen, spiegelt sich im Namen des Festes selbst wider. Chanukka, abgeleitet von dem Wort chanuch, bedeutet Wiedereinweihung. Das ist es, was die Makkabäer mit dem Tempel taten. Sie weihten ihn neu ein, wie in den Büchern der Makkabäer beschrieben. Doch im Laufe der Zeit wurde Chanukka mit dem Wort chinuch verbunden, einem Wort, das Bildung bedeutet. Was wir umgewidmet hatten, war nicht ein physisches Gebäude – der Tempel, sondern waren lebendige Verkörperungen des Judentums, unsere Kinder, unsere Schüler, die Menschen, denen wir unser Erbe und unsere Werte vermitteln.
Chanukka ist nicht mehr das Fest eines militärischen Sieges, sondern das Fest eines geistigen und zivilisatorischen Sieges.
Ich glaube, diese Geschichte unserer Geschichte hat eine Botschaft für uns alle. Sie lehrt uns eine grundlegende Wahrheit, die für unser heutiges Leben so relevant ist wie nie zuvor: Um ein Land physisch zu verteidigen, braucht man eine Armee, aber um eine Zivilisation zu verteidigen, braucht man Bildung, braucht man Lehrer und Erzieher und braucht man Schulen. Das sind die Dinge, die den jüdischen Geist am Leben erhalten und die die Menora der jüdischen Werte durch die Jahrhunderte hindurch in einem immerwährenden Licht brennen lassen. Oftmals ist das, was zunächst die Schlagzeilen erhält, der militärische Sieg, im Rückblick der Geschichte zweitrangig gegenüber dem kulturellen Sieg, der Weitergabe der eigenen Werte an die nächste Generation.
Wenn wir das tun, sorgen wir dafür, dass unsere Kinder und deren Kinder die Welt erhellen.
Mit der länger als sonst hier üblich wiedergegebenen Betrachtung von Rabbiner Sacks möchte ahavta+ seinem Beitrag zur Bildung unseres Zeitalters die Ehre erweisen. Denn der im November 2020 verstorbene Philosoph und jüdische Theologe fehlt seitdem der Welt und wir suchen nach geistigen Führern. Israels Staatspräsident Isaac Herzog sagte am vergangenen Montag über ihn: Er „reichte über die Grenzen der verschiedenen Religionen hinweg und brachte die Tora vom Himmel herab in die Generation der Smartphones“.
Das Zitat stammt aus der Rede Herzogs zur Verleihung des israelischen Genesis-Preises an Jonathan Sacks, den die Witwe des Geehrten, Lady Elaine Sacks, an seiner Statt entgegennahm. Der Genesis-Preis gilt als „jüdischer Nobelpreis“ und wird wie dieser jährlich vergeben an außergewöhnliche Persönlichkeiten für ihre herausragende berufliche Leistung, ihren Beitrag zu mehr Menschlichkeit und ihr Engagement für jüdische Werte.
Am Dienstag, dem 30. November, um 19 Uhr, ehrt die jüdische Claims Conference Holocaust-Überlebende mit einem Online-Event, der „International Holocaust Survivors Night 2021“.
Die Organisation hat dafür ein hochkarätiges Programm vorbereitet. Überlebende sowie Würdenträger aus aller Welt wie der israelische Präsident Isaac Herzog und der neue Bundeskanzler Olaf Scholz entbieten Glückwünsche zu Chanukka. Für Unterhaltung sorgen die Schauspielerinnen Tovah Feldschuh und Mayim Bialik, sowie als musikalische Gäste Steven Skybell und Jennifer Babiak von der National Yiddish Theatre Folksbiene und nicht zuletzt die phantastische A-Capella-Gruppe Maccabeats. Höhepunkt wird ein Livestream von der offiziellen Zeremonie des Anzündens der Chanukkia an der Klagemauer (Kotel) in Israel sein.
Über den obigen Link kannst auch du Gast der Feier und Zeremonie sein.
Nach einer etwas längeren Pause steht nun endlich Folge 15 der Videothek jüdischen Lebens für dich bereit. Landesrabbiner Alexander Nachama habe ich gefragt, ob Juden ein Glaubensbekenntnis haben. Er antwortete: „Das beste Bekenntnis eines Juden oder einer Jüdin ist, jüdisch zu leben.“
Im Laufe der Zeit wurde jedoch das Schma Jisrael, das „Höre, Israel“, mit dem Vers 5.Mose 6,4 zum Glaubensbekenntnis. Freilich hebt die Tora selbst diesen Vers nicht hervor.
Rabbiner Nachama erzählt, wie jedoch Rabbi Akiva in seiner Todesstunde das „Höre, Israel“ zum Bekenntnis der Einzigkeit Gottes sowie zur jüdischen Identität machte.
Heute ist das Schma Jisrael Teil des Gottesdienstes im Morgen- und im Abendgebet. Der Vers soll mit höchster Konzentration gesprochen werden, da seine sechs Worte die Essenz des Judentums zum Ausdruck bringen. Daher bedecken die Beter währenddessen ihre Augen.
Schau dir seine ganze Erklärung an (13 min):
Alle weiteren bislang erschienenen Folgen der Reihe „Frag den Rabbi!“ kannst du unter dem folgenden Link aufrufen:
Ich wünsche dir einen friedlichen 1. Adventssonntag und grüße dich
herzlich, Dein Ricklef