ahavta+ || zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust (Teil 1)
Die Palästinensische Behörde (PA) wurde 1994 nach Abschluss der Osloer Verträge zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) gegründet. Im August 1994 nahm die Bundesrepublik Deutschland mit ihr diplomatische Beziehungen auf. Seitdem gibt es in Ramallah ein Deutsches Vertretungsbüro, derzeit geleitet vom Gesandten Oliver Owcza. Sein Motto:
Politischer Dialog, Entwicklungspartnerschaft, Kulturaustausch: Deutschland steht verlässlich an der Seite unserer palästinensischen Partner!
Die Unterstützung, die Deutschland „zum Aufbau eines zukünftigen palästinensischen Staates im Rahmen einer zwischen den Konfliktparteien verhandelten Zwei-Staaten-Lösung“ gewährt, ist gewaltig. Das „deutsche Stabilisierungsengagement“ umfasst nach Angaben des Auswärtigen Amtes beispielsweise Hilfen zum Aufbau der palästinensischen Zivilpolizei, zur Beschäftigungsförderung, Bildung und Berufsbildung sowie die Förderung lokaler Regierungsführung und Zivilgesellschaft. Das Amt stellte dafür 2021 rund 94 Millionen Euro zur Verfügung.
Vollständige Zahlen sind für Außenstehende nicht zu ermitteln. Denn neben im vergangenen September zugesagten 100 Millionen Euro für Vorhaben der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit des Entwicklungsministeriums (BMZ) kamen 2021 Förderungen nicht-staatlicher Zusammenarbeit des BMZ über mindestens 97 Millionen Euro zu stehen. Dazu zu rechnen wären die Zuschüsse, die Deutschland den verschiedenen in den Palästinensischen Gebieten tätigen UN-Organisationen gibt. So erhielt die UNRWA, das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten allein im vergangenen Jahr einen Beitrag von 150 Millionen Euro, wodurch Deutschland zum zweitgrößten Geberstaat wurde.
Viele kleinere Zahlungen sind kaum zu recherchieren. Jedenfalls ist Deutschland seit 2019 der größte Geber für den humanitären Länderfonds der Vereinten Nationen für die Palästinensischen Gebiete (2021: 14,5 Millionen Euro). Nicht ermittelbar ist, was die sechs in der PA tätigen politischen Stiftungen, die sieben mit dem Auswärtigen Amt zusammenarbeitenden Gesellschaften und Institutionen für Entwicklungszusammenarbeit und die acht registrierten Kultureinrichtungen jeweils leisten, um sonstige Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die von Deutschland aus in der PA tätig sind, gar nicht zu erwähnen.
Zusammengefasst dürfte Deutschland der bedeutendste Partnerstaat für die Palästinensischen Gebiete sein.
Die israelische Armee ging am Donnerstag gegen mehrere NGOs in den Palästinensischen Gebieten vor. Sie verschaffte sich Zugang zu deren Büros, beschlagnahmte Unterlagen, versiegelte die Eingangstüren und hinterließ Zettel, auf denen die Büros für geschlossen erklärt wurden. Der Vorwurf: Die „Menschenrechtsgruppen“ agierten verdeckt als Arm der Terrororganisation Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP). Diese zählt ebenfalls laut deutscher Bundesregierung zum Spektrum der terroristischen palästinensischen Organisationen und ist in den Palästinensischen Gebieten als politische Partei tätig.
Durchsucht wurde auch das Büro der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Al-Haq, die ihre Tätigkeit selbst u.a. so beschreibt:
Al-Haq dokumentiert Verletzungen der individuellen und kollektiven Rechte der Palästinenser in den OPT (Occupied Palestinian Territories, besetzten palästinensischen Gebieten), unabhängig von der Identität des Täters, und versucht, solche Verletzungen durch Lobbyarbeit vor nationalen und internationalen Mechanismen zu beenden und die Verletzer zur Rechenschaft zu ziehen.
Al-Haq steht auf der israelischen Liste von „Terrororganisationen“. Diese Liste findet sich bei der israelischen Organisation NGO Monitor. Dort sind neben vielen anderen Aktivitäten auch die des Direktors von Al-Haq Shawan Jabarin für die PFLP dokumentiert.
Auch von deutscher Seite wurde (und wird?) Al-Haq finanziert. NGO Monitor gibt dazu an:
2017-2021 war Al-Haq Durchführungspartner eines von der Bundesregierung finanzierten Projekts mit dem Titel „Seite an Seite: Stärkung zivilgesellschaftlicher Kräfte.“ Al-Haq arbeitete mit einer deutschen NGO zusammen, „um sich bei politischen Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit in Deutschland und Europa (EU) für die Menschenrechtslage im Nahen Osten einzusetzen.“ Weder Al-Haq noch die deutsche Regierung haben die Höhe des Zuschusses bekannt gegeben.
Al-Haq nahm an einem Projekt des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) teil (2013-2020) mit dem Titel „Steter Tropfen höhlt den Stein: Ausbildung und Theater bieten Jugendlichen gewaltfreie Alternativen.“ Weder das BMZ noch Al-Haq haben die Höhe des Zuschusses bekannt gegeben.
Da es einen undurchdringlichen Sumpf von deutschen Finanzierungen in Richtung der Palästinensischen Gebiete gibt, ist es der AFD im Deutschen Bundestag hoch anzurechnen, dass sie in der vergangenen Legislaturperiode eine Kleine Anfrage nach der Deutsche(n) Unterstützung für den Aufbau eines palästinensischen Staates gestellt hat. Die Bundesregierung beantwortete diese am 26.11.2018. Auf 25 Seiten sind dort Bewilligungen für Projekte der unterschiedlichsten Organisationen in den Palästinensischen Gebieten mit ihren Fördermitteln zwischen 2005 und 2018 aufgelistet. (Wenn du Zeit und Muße hast, addiere doch einmal die Angaben zu einer Summe!) Für die Jahre 2005, 2008 und 2011 sind dort für Al-Haq Bewilligungen der Evangelischen Zentralstelle für Entwicklung über zusammen 740.000 Euro verzeichnet.
Ich behaupte nicht, dass diese Gelder insgesamt für den Kampf gegen Israel oder zur „Befreiung der palästinensischen besetzten Gebiete“ eingesetzt worden sind. Ich frage jedoch, ob wir als Steuerzahler bzw. Kirchensteuerzahler nicht ein Recht auf Evaluierung und den Verwendungsnachweis der eingesetzten Mittel haben. Und ich verlange nicht zusätzliche, sondern überhaupt eine Transparenz für die Hilfen zum Aufbau eines palästinensischen Staates bzw. der Verwaltung der Palästinensischen Gebiete. Die Vorwürfe, dass „Millionen von Euro … von der EU und einigen ihrer Mitgliedstaaten in den vergangenen Jahren über NGO an die marxistische Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) geflossen sein“ sollen, sind im übrigen nicht neu (siehe NZZ vom 28.05.2021).
Vor drei Wochen jährte sich zum 20. Mal ein Bombenanschlag in der Frank-Sinatra-Cafeteria auf dem Campus auf dem Skopusberg der Hebräischen Universität. Er riss neun Menschen in den Tod, Dutzende wurden verletzt. Die israelische Organisation Palestinian Media Watch (PMW) konnte jetzt durch Dokumente belegen, dass die Palästinensische Behörde den acht beteiligten und in israelischen Gefängnissen unterschiedlich lange einsitzenden Terroristen bis heute umgerechnet 2.569.811 EUR an „Gehältern“ gezahlt hat. Monat für Monat kommen umgerechnet 20.484 EUR hinzu.
Die sogenannten Märtyrerrenten an die Hinterbliebenen von getöteten Attentätern und die Gehälter für in Israel ihre Strafe absitzende Attentäter machen nach Schätzungen rund fünf Prozent des Jahresbudgets der PA aus. Es ist klar, dass diese Zahlungen nicht aus innerpalästinensischen Mitteln aufgebracht werden. Eine Sprecherin der deutschen Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Svenja Schulze sagte der Tageszeitung Die Welt, es flössen keine direkten Steuermittel aus dem Bundeshaushalt an die PA, sodass auch Zahlungen von „Terrorrenten“ mit diesem Geld nicht möglich seien. Das räumt jedoch natürlich nicht den Verdacht indirekter Finanzierung der Gehälter und Renten von Terroristen aus Deutschland aus. Trotz wachsender Kritik, wie zuletzt am Mittwoch vom Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft DIG, Volker Beck, haben palästinensische Politiker die fraglichen Zahlungen immer wieder als „moralische Pflicht“ verteidigt und sie als eine Form der sozialen Fürsorge und notwendige Entschädigung für die Opfer der israelischen Militärjustiz im Westjordanland beschrieben.
Auf der gemeinsamen Pressekonferenz von Bundeskanzler Olaf Scholz und Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas am vergangenen Dienstag im Bundeskanzleramt fragte einer der Journalisten Abbas, ob er Israel anlässlich des 50. Jahrestags des Attentats auf die israelische Olympiamannschaft in München um Entschuldigung bitten wolle. Die Frage war brisant. Mohammed Daud Oudeh, besser bekannt als Abu Daud, war damals der Planer des Massakers von München und bezeichnete in seiner Autobiografie „Palästina: Von Jerusalem nach München“ Mahmud Abbas als „den Finanzier unserer Operation“. Dieser sei als damaliger Schatzmeister der PLO direkt in die Anschlagplanung des „Schwarzen September“ eingebunden gewesen.
Vielleicht deshalb auch redete sich Abbas in Rage, obgleich sich im Vorfeld des Treffens zwischen Scholz und Abbas deutsche Beamte mit Abbas Beratern getroffen und gedrängt hatten, die Rhetorik abzumildern und sicherzustellen, dass ihr Präsident eine Sprache vermeidet, die in Deutschland inakzeptabel wäre – so ein Beteiligter. Ungeachtet dessen verstieg Abbas sich zu der Aussage:
Israel hat seit 1947 bis zum heutigen Tag 50 Massaker in 50 palästinensischen Orten begangen. 50 Massaker, 50 Holocausts.
Beschämenderweise schwieg der Bundeskanzler zur Gleichsetzung der israelischen Armee mit SS, Eingreiftruppen und Wehrmacht im Dritten Reich. Doch auch ohne den nicht einfach nur peinlichen Vorgang hätte Olaf Scholz reden müssen – zum Beispiel über die Verwendung deutscher Unterstützungszahlungen in den Palästinensischen Gebieten!
Alle mit erheblicher Verspätung folgenden Klarstellungen und Entschuldigungen können die gefallenen Worte und den Schaden nicht aus der Welt räumen. Zudem war die am Folgetag nachgeschobene Erklärung des palästinensischen Präsidenten zu seinen eigenen Aussagen recht halbherzig. Zwar betonte Mahmud Abbas darin, dass er nicht die Absicht hatte, „die Beispiellosigkeit des Holocausts, der sich im letzten Jahrhundert ereignet hat, zu leugnen. Der Holocaust sei auf das Schärfste zu verurteilen.“ Nur um sofort zu verdeutlichen:
Mit den Verbrechen, von denen Präsident Mahmoud Abbas sprach, sind die Verbrechen und Massaker gemeint, die seit der Nakba durch die israelischen Streitkräfte am palästinensischen Volk begangen wurden. Diese Verbrechen haben bis zum heutigen Tag nicht aufgehört.
Zudem sagte Mahmud al-Habash, Berater von Abbas für religiöse Angelegenheiten und oberster Scharia-Richter der Palästinensischen Behörde noch am selben Tag im palästinensischen Fernsehen, Abbas wollte „die Welt an die kontinuierlichen und aufeinanderfolgenden Massaker erinnern, die von 1947 bis heute von der Besatzung an den Palästinensern begangen wurden“. Er fügte hinzu:
Sie wollen, dass wir die Geschichte vergessen, während sie gleichzeitig wollen, dass sich die Welt an eine Geschichte erinnert, die größtenteils gefälscht, übertrieben und erfunden ist und keine Grundlage in der Realität hat.
Michal Kornblum erinnert an die Rede von Olaf Scholz am 27. Januar 2022 zum internationalen Holocaustgedenktag. Damals sagte der Bundeskanzler unter anderem:
Antisemitismus, Hassreden, Hetze gegen Israel und Gewalt gegen Menschen jüdischen Glaubens nehmen zu – in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern weltweit. (…) Gerade in der Coronapandemie … haben (wir) immer wieder gesehen, wie die Erinnerung an den Holocaust auf unseren Straßen bewusst verfälscht wurde(.) (…) Umso deutlicher möchte ich heute sagen: Antisemitismus hat in unseren Ländern keinen Platz. Freie und offene Gesellschaften dürfen ihren Feinden nicht das Heft des Handelns überlassen.
Die 25-jährige Studentin aus Münster hat angesichts seines Schweigens neben Mahmud Abbas „den Eindruck, dass das Verhalten von Olaf Scholz schizophren ist.“
Wenn Scholz in seiner Rede sagt, dass er Seite an Seite mit unseren israelischen Freunden stand, dann mag das stimmen – aber trotzdem steht er den palästinensischen Freunden eben doch ein Stückchen näher.
Chaim Noll, in Israel lebender Schriftsteller aus Deutschland, schreibt ebenfalls in der Achse des Guten:
Und nun, wie zum Hohn, die Entschuldigungen. Nachträglich tut es ihnen leid, vor allem, weil es dem ohnehin schwer angeschlagenen Ansehen Deutschlands schadet. (…)
Spart euch die Entschuldigungen. Und ihr, deutsche Juden, holt eure Koffer vom Dachboden. Bereitet euch vor auf schlimme Zeiten. Wenn ihr noch jung seid und im Besitz eurer von Gott verliehenen Entscheidungsfreiheit, seht euch um, wohin ihr beizeiten gehen könnt. Ehe es richtig gefährlich wird. Vielleicht Kanada, wohin jetzt schon zehntausende französische Juden auswandern. Oder Südamerika. Oder, wenn ihr mutig seid, Israel. Fangt an zu packen. In Deutschland habt ihr nichts mehr zu hoffen.
Es liegt an dir und an mir und an uns allen, Chaim Noll in seinem Fazit zu widersprechen – nicht durch Schweigen, nicht durch Worte, sondern durch Taten.
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