Die Akedat Jizchak und die Auferstehungshoffnung im Hebräerbrief
Rabbinische Midraschim erzählen von Isaaks Tod und Wiederbelebung – Motive, die im Neuen Testament widerhallen und im Hebräerbrief aufgegriffen werden.
Das Neue Testament versteht man am besten als „neu”, wenn man es als Echo, als Widerhall und Resonanz der Tora wahrnimmt. Es klingt nicht aus sich selbst heraus.
Der Wochenabschnitt Wajera enthält in 1. Mose 22 die Akedat Jizchak, die „Bindung Isaaks”, wie die jüdische Tradition den Bericht nennt. In christlicher Tradition wird mitunter von der Opferung Isaaks gesprochen. So als hätte Abraham seinen Sohn tatsächlich Gott dargebracht.
Der Hebräerbrief und die Akeda
Der Hebräerbrief scheint in Kapitel 11,17–19 zu unterstellen, dass er das tatsächlich getan hat:
Durch den Glauben opferte Abraham Isaak, als er geprüft wurde und gab den einzigen Sohn dahin. Zu dem doch gesagt worden war: »Nach Isaak wird dein Geschlecht genannt werden.« (Er tat es) in der Überzeugung, dass Gott ihn von den Toten auferwecken könne, von wo er ihn auch in einem Gleichnis (oder: in einer Parabel; griechisch en parabolē) wiedererlangte.
Moderne deutsche Bibelübersetzungen glätten die Wendung en parabolē zu „gleichsam” oder „bildlich gesprochen”. Man könnte aber auch erwägen, den Ausdruck wörtlicher zu verstehen. Hebräisch rückübersetzt: „von wo er ihn auch gemäß einem Midrasch wiedererlangte”. Wie dem auch sei – tatsächlich gibt es etliche, bis in die frühe talmudische Zeit zurückreichende rabbinische Aussagen, die von einem Tod Isaaks, seiner Aufnahme in den Himmel und seiner Wiederbelebung bzw. Rückkehr sprechen. Und das ist erstaunlich genug.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Verfasser des Hebräerbriefs solche Tradition kannte.
Rabbinische Traditionen von Tod und Wiederbelebung
Einige Kommentatoren verwenden ähnlich vage, andeutende Formulierungen wie der Hebräerbrief. „Isaak sei als tot angesehen worden“. Oder: „Als er das Schwert über seinem Nacken sah, floh sein Atem von ihm und kam zum Ort der Seele, als ob er im Begriff war, den Geist aufzugeben.“ Diese Ausdrücke entsprechen der Sprache des Hebräerbriefs.
Wie kommt es zu solchen Überlegungen?
Nun, in der Tora fällt auf, dass Isaak gar nicht mehr erwähnt wird. 22,19 lesen wir: „Hierauf kehrte Abraham zu seinen Knechten zurück, und sie brachen auf und gingen miteinander nach Beer-Scheba.“ Isaak begegnet erst zwei volle Kapitel später wieder, in 24,62. Dort zieht er zum „Brunnen des Lebendigen, der mich sieht“, um seine Braut Rebekka zu treffen.
Wo also war Isaak, nachdem er auf der Opferstätte lag?
Eine Auslegung sagt, dass er in Kapitel 24 zu Rebekka „vom Himmel kam“, um sie zu heiraten. Ein anderer Kommentar greift diese Erzählung auf und fragt, was Isaak im Himmel gemacht habe. Er gibt die Antwort, er habe seine Wunden geheilt. Eine Midrasch-Sammlung sagt es präziser: „Die Engel trugen ihn ins Paradies, wo er drei Jahre verweilte, um von der Wunde geheilt zu werden, die ihm Abraham anlässlich der Akeda zugefügt hatte.“ Eine Wunde, die ihm Himmel geheilt werden muss, kann nur eine tödliche gewesen sein.
Darum sagt R. Eleazar ben Pedat in ähnlich ambivalenter Ausdrucksweise wie der Hebräerbrief: „Obwohl Isaak nicht starb, behandelt die Heilige Schrift ihn so, als wäre er gestorben und seine Asche auf dem Altar aufgeschichtet worden.“
Abraham ibn Esra (1089–1167) kannte diese Midraschim mit Sicherheit, sagt aber ganz klar, dass sie nicht stimmen: „Wer behauptet, Abraham hätte Isaak getötet und ihn liegen lassen, woraufhin Isaak wieder zum Leben erwacht wäre, widerspricht der Schrift.”
Aber das brachte die Traditionen nicht zum Schweigen. In Shibbolei haLeket aus dem 13. Jahrhundert steht: „Als Vater Isaak auf dem Altar gefesselt und zu Asche verbrannt wurde und seine Opferasche auf den Berg Moriah geworfen wurde, schickte der Heilige, gesegnet sei er, sofort Tau auf ihn herab und erweckte ihn wieder zum Leben.“
Shalom Spiegel, der in seinem Buch „The Last Trial“ (englisch 1967, ursprünglich hebräisch 1950) die Überlieferungen gesammelt hat, schreibt: „Überraschend ist, dass überhaupt Spuren der Agada erhalten geblieben sind, die der Tora widersprechen”, die Gott doch ausdrücklich zu Abraham sagen lässt: „Strecke deine Hand nicht aus gegen den Knaben und tu ihm nichts” (22,12).
Frühe talmudische Zeugnisse
Doch die Traditionen gehen zurück bis in die Zeit der Mischna. In der Mechilta deRabbi Shimon ben Jochai heißt es: „Rabbi Jehoschua sagt… Der Heilige, gesegnet sei Er, sprach zu Mose: Du kannst darauf vertrauen, dass ich Isaak, den Sohn Abrahams, belohnen werde, denn er hat ein Viertel seines Blutes auf dem Altar zurückgelassen.“ Nach dem Talmud Schabbat 31a ist ein Viertel Log Blut die Menge, die den Übergang vom Leben zum Tod markiert.
Entsprechungen zur christlichen Tradition
Es wird deutlich, dass sich in der Akedat Jizchak, wie sie in der mündlichen Tora aufgenommen wird, mehrere Motive finden, die im Christentum mit Jesus von Nazaret verbunden sind. Bereits die Aussage der Schrift, dass Abraham das Holz zum Opfer seinem Sohn Isaak auflegte (22,6), haben Christen daran denken lassen, dass der verurteilte Jesus das Holz seines Kreuzes zur Hinrichtungsstätte Golgata trug. Das Blut, dass Jesus am Kreuz vergoss, als ihm in die Seite gestochen wurde, wurde nach seiner Auferweckung als sühnendes Blut für die Sünden der Glaubenden verstanden.
Solche Kraft hat nach der Mechilta auch das Blut und nach anderen Midraschim auch die Asche Isaaks. Im Gebet an den Hohen Feiertagen richtet sich die Bitte an Gott: „Betrachte die Asche unseres Vaters Isaak, die auf dem Altar aufgeschichtet ist, und handle mit deinen Kindern in Übereinstimmung mit dem Attribut der Barmherzigkeit.“
Im Midrasch Pirkei DeRabbi Eliezer wird Isaak, der von der Opferstätte aufsteht, zum Zeugen für die Auferstehung von den Toten, wenn Rabbi Jehuda sagt:
Als das Messer [Isaaks] Hals erreichte, sprang Isaaks Seele heraus und verließ ihn. Und als Gott seine Stimme zwischen den Cherubim erklingen ließ und zu Abraham sagte: „Heb deine Hand nicht!”, kehrte Isaaks Seele in seinen Körper zurück. Isaak stand auf und wusste nun, dass die Toten in Zukunft wieder zum Leben erweckt werden. Er öffnete seinen Mund und sagte: „Gelobt seist du, HErr, der die Toten wieder zum Leben erweckt.”
Übrigens spielt auch die Haftara (Prophetenlesung) zum Wochenabschnitt Wajera in 2. Könige 4,32–35 das Thema der Auferweckung durch die Geschichte von Elisa an, der das Kind der Schunemiterin wiederbelebte.
Der Hebräerbrief wie rabbinische Tora stimmen also darin überein, dass sie mehr oder weniger gleichnishaft – en parabolē – von einem Tod, einem Wiederaufstehen und einer Rückkehr Isaaks zu Abraham sprechen. Im 12. Jahrhundert wird das Sprechen davon jedoch ganz drastisch und deutlich. Der Grund: Die Akeda wiederholte sich hundertfach in der Geschichte der Juden.
Der Pijut von Rabbi Ephraim
In dem genannten Werk „The Last Trial“ veröffentlichte Shalom Spiegel den Pijut (religiöses Gedicht) „Die Akeda“ von Rabbi Ephraim ben Jakob von Bonn (1132–1200). Er wurde zum Chronisten der Massaker an Juden im Rheinland während der Kreuzzüge. Innerhalb des langen Pijut heißt es:
Er [Abraham] beeilte sich, drückte ihn mit seinen Knien fest, Er machte seine beiden Arme stark. Mit ruhigen Händen schlachtete er ihn nach dem Ritus, und die Schlachtung war völlig rechtmäßig. Auf ihn herab fiel der auferstehende Tau, und er erwachte wieder zum Leben. (Der Vater) packte ihn (dann), um ihn noch einmal zu schlachten. Schrift, bezeuge es! Gut begründet ist die Tatsache: Denn der Herr rief Abraham ein zweites Mal vom Himmel herab. Die dienenden Engel schrien entsetzt: Wurden jemals selbst Tieropfer zweimal geschlachtet? Sofort ließen sie ihren Schrei in der Höhe hören, Siehe, Ariels schrien über der Erde: Wir bitten Dich, hab Erbarmen mit ihm! Im Haus seines Vaters wurden wir gastfreundlich aufgenommen. Er wurde von der Flut himmlischer Tränen nach Eden, den Garten Gottes, gespült. Der Reine dachte: Das Kind ist frei von Schuld, Nun ich, wohin soll ich gehen? Da hörte er: Dein Sohn wurde als angenommenes Opfer gefunden, Ich selbst habe es geschworen, spricht der Herr. In einem nahe gelegenen Dickicht bereitete der Herr Einen Widder, der schon seit der Schöpfung für diese Mizva bestimmt war. Der Stellvertreter verfing sich mit seinem Bein in den Säumen seines Mantels, Und siehe, er stand neben seinem Brandopfer. So opferte er den Widder, wie er es wollte, Anstelle seines Sohnes als Brandopfer. Voller Freude sah er die Erlösung seines Einzigen, Den Gott ihm geschenkt. Er nannte diesen Ort Adonai-jireh, Den Ort, an dem das Licht und das Gesetz offenbar werden. Er schwor, ihn als Tempelstätte zu segnen, Denn dort hatte der Herr den Segen geboten. So beteten der Bindende und der Gebundene, Dass, wenn ihre Nachkommen Unrecht tun, Diese Tat in Erinnerung gerufen werde, um sie vor Unheil zu bewahren, Vor all ihren Übertretungen und Sünden. O Gerechter, erweise uns diese Gnade! Du hast unseren Vätern Gnade gegenüber Abraham versprochen. Lass also ihre Verdienste als unser Zeugnis gelten, Vergib uns unsere Ungerechtigkeit und unsere Sünden und nimm uns als Dein Erbe. Erinnere dich an die vielen Akedas, Die Heiligen, Männer und Frauen, die um deinetwillen getötet wurden. Erinnere dich an die gerechten Märtyrer Judas, An die, die an Jakob gebunden waren. Sei du der Hirte der überlebenden Herde, Unter den Völkern verstreut und zerstreut. Brich das Joch und schlag die Hände Der gebundenen Herde, die sich sehnt nach dir. O GOTT! O KÖNIG!
Die Akeda und die Kreuzzugsmassaker
In diesem Pijut hallt mit den „vielen Akedas“ der Schrecken der Kreuzzüge wider, wie sie in mittelalterlichen jüdischen Chroniken überliefert sind (nach Shalom Spiegel, S.24f):
„In der Gemeinde Worms wurden 1096 innerhalb von zwei Tagen 800 Menschen ermordet. Zu ihnen gehörten diejenigen, »welche ihre Söhne um der Einzigkeit Seines herrlichen Namens willen selbst töteten (…), unter ihnen ein hervorragender Mann, Rabbi Meschulam bar Jizchak. Mit lauter Stimme rief er den anderen und seiner Frau Zippora zu: Hört mich an! Hier seht ihr meinen Sohn, den Gott mir schenkte und den meine Frau Zippora in vorgerücktem Alter zur Welt brachte. Er heißt Jizchak. Und jetzt muss ich ihn opfern, so wie mein Urvater Awraham seinen Sohn Jizchak opferte.«“
„Salomon bar Samson vermeldet »aufgrund des Zeugnisses der Weisen«, die Augenzeugen der Ereignisse von 1096 waren: »Und Zions teure Söhne aus Mainz mussten zehn Prüfungen durchgehen, so wie Awraham (…) Sie opferten ihre Söhne, so wie Awraham seinen Sohn opferte (…); es waren 1100 Opfer an einem einzigen Tag, ein jedes wie die Akeda Jizchaks, des Sohnes Awrahams«“
Ob das Opfer Isaaks und sein Wiederaufstehen angesichts solcher – im Namen Jesu des Messias verübter – Gräueltaten noch ein Trost zu sein vermochte?


