ahavta+ || „Bist du, der da kommen soll?“
An dieser nicht verstummten jüdischen Frage ist zu lernen, Jesus als Messias nicht einfach zu behaupten, sondern allererst zu erhoffen.
In der zurückliegenden Woche lernte ich mit 29 Christen und Juden gemeinsam mit zwei Rabbinern in Kloster Donndorf die Pessach-Haggada. Es war eine schöne, ja wertvolle Zeit in großer Offenheit. Noch immer staune ich, wie Menschen, die sich zum Teil überhaupt nicht kannten, geradezu unmittelbar zu echter Gemeinschaft zusammenfanden. Vielleicht lag es daran, dass alle in unauflöslicher Israel-Verbundenheit gekommen waren. Ein festes Band…
Unser Lern- und Gesprächsprozess stand unter dem Titel: „Einführung in ein antimessianisches jüdisches Evangelium“. Die pädagogische Mitarbeiterin der Ländlichen Heimvolkshochschule, die immer wieder auf unser Wohlbefinden im Haus achtete, fragte eingangs vorsichtig, ob es sich um eine „antichristliche“ Veranstaltung handele. Ich denke, wir konnten sie vom Gegenteil überzeugen.
Denn gerade „christlich“ ist es, sich klar zu machen, dass der geglaubte Messias Jesus dem Volk Israel in den vergangenen 2000 Jahren alles andere als Freiheit und Erlösung gebracht hat. Die Pessach-Haggada besteht wohl auch deshalb darauf:
„DER EWIGE FÜHRTE UNS HERAUS AUS ÄGYPTEN (5. Mose 26,8) – nicht durch einen Engel, nicht durch einen Saraf, nicht durch einen Boten, sondern der Heilige, gelobt sei Er, in seiner Herrlichkeit selbst.“
Um nur ja kein Missverständnis aufkommen zu lassen, wird sogar Mose kein einziges Mal in der Haggada mit Namen genannt.
Nicht nur mit dem Messias Jesus hat das jüdische Volk schlechte Erfahrungen gemacht. Es erlebte, wie Friedrich-Wilhelm Marquardt einmal sagte, einfach nur permanente
„Enttäuschungen mit Menschen, die im Laufe der Geschichte sich selbst als Messiasse in Israel aufspielten oder solche, die als Messiasse breite Anerkennung fanden, wie Bar Kochba (132-135) oder Schabtai Zwi (1665) oder zu Luthers Lebzeiten David Reuweni (1523-1524) und dann doch enttäuschten, weil sie's doch noch nicht waren. Es lassen sich – je nach dem – vor und nach Jesus, mehr noch nach Jesus, weit über 50 Messiasse in der Geschichte des jüdischen Volkes erkennen, ihre Geschichten erzählen; ihr Auftauchen und dann auch wieder Verschwinden. So dass wir im geschichtlichen Rückblick sagen müssen: Bisher gehört zum Phänomen eines Messias-in-Person, und übrigens auch zu allen messianischen Bewegungen die Enttäuschung“.
Marquardt wies ebenso darauf hin, dass Jesus selbst die Frage nach der Messianität nicht nur zulässt, sondern die Antwort offen hält:
„Dass uns im Neuen Testament die noch ganz offene Messiasfrage überliefert wird: Bist du, der da kommen soll, oder: sollen wir auf einen anderen warten? (Mt 11,3), dass auch die Frage ganz offen gestellt wird: Wer sagen die Leute, dass ich sei? – und dann kommt eine ungeordnete Vielzahl verschiedener Möglichkeiten, wer oder was Jesus alles sein könnte: der Täufer Johannes, Elia, der nach bestimmten Vorstellungen Vorläufer des Messias werden soll, irgendein Prophet (Mt 8,28), dies alles hat die Kirche nicht mehr lange offen gelassen. Sie hat sich auch nicht an Jesus selbst gehalten, der das Messias-Bekenntnis des Petrus mit dem „strengen Befehl” versah, sie sollten zu niemandem über ihn reden.(Mt 8,39) Jesus wollte da unbesprochen, unausgesprochen namenlos und titellos, er wollte (können wir sagen) im Offenen bleiben, oder sich für alles offen halten.
Gerade das war aber, wie so vieles andere, gut jüdisch an ihm.“
Im Abschlussgottesdienst der Arbeitsgruppe ,Juden und Christen’ beim Evangelischen Kirchentag in Halle (Saale) am 26. Juni 1988 hielt ich die Predigt über die im Matthäusevangelium, Kapitel 11,2–6, von Johannes dem Täufer gestellte Frage:
Da Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Schüler und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.
Heute gebe ich dir diese Predigt zu lesen und wünsche dir
eine gute Woche
dein Ricklef Münnich
PS: Bislang war ahavta+ ein Sonntagsmagazin. Jetzt wird es zu einem Wochenendmagazin und erscheint jeweils am Freitag, jom schischi, also vor dem Schabbat. Zum ersten Mal im neuen Rhythmus in der kommenden Woche, am 16. August 2024.
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