ahavta+ || Die Brit Mila von Jesus
Am 1. Januar gibt es ein nahezu vergessenes kirchliches Fest, den „Tag der Beschneidung Jesu“
Ein jüdischer Junge wird am 8. Tag nach seiner Geburt beschnitten. So war es auch bei Jesus. Das verstand sich so sehr von selbst, dass der Evangelist Lukas das Ereignis in Kapitel 2,21 nur mit einem Halbsatz erwähnt: Als acht Tage vollendet waren, das Kind zu beschneiden, gab man ihm den Namen Jesus – den Namen, den der Engel genannt hatte, noch bevor Maria das Kind empfing.
Die jüdische Tradition verbindet die Beschneidung mit der Namensgebung des Kindes im Blick auf die Erzählung von der Beschneidung des 99-jährigen Abraham (1. Mose 17,1–14), der aus Abram in Abraham umbenannt wird (vgl. 17,23–27). Tatsächlich ist das Lukasevangelium der älteste Beleg für diese zweifellos noch ältere Praxis. Diesem Brauch entspricht der früher auch in der Kirche geläufige, die Benennung eines Kindes am Tag seiner Taufe vorzunehmen. Noch in der heutigen Taufliturgie fragt der Taufende unmittelbar vor der Taufe nach dem Namen des Kindes.
Da die Beschneidung ein Merkmal jüdischer männlicher Neugeborener ist, trat diejenige von Jesus in dem Maße in den Hintergrund, wie auch sein Judesein nicht mehr der Erwähnung wert schien. Sie wurde Teil der Israelvergessenheit in den Kirchen.
Vor dem achten Tag nach der Feier der Geburt Jesu am Weihnachtsfest möchte ich daher an seine Beschneidung und ihre Bedeutung erinnern und ein Licht auf die brit mila, den „Beschneidungsbund“ bei Juden, werfen.
Dies ist die letzte Ausgabe des Sonntagsmagazins ahavta+ im Jahr 2023. Es wird als ein schweres Jahr für Juden in aller Welt und besonders für Israelis in die Geschichte eingehen. Die damit für Christen gestellten Herausforderungen versuche ich aufzunehmen. Neben dem genannten Magazin, dem mittlerweile im vierten Jahr von inzwischen sechs Rabbinern und Lehrern abwechselnd gesprochenen Wort zum Schabbat sowie dem Dialog mit Johannes Gerloff und Teilnehmern bei Sonntags in Jerusalem kam in den Wochen des Krieges die Videoreihe Israel inside hinzu – mit bislang sieben Folgen, um Stimmen aus Israel in den deutschsprachigen Ländern Gehör zu geben.
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Apropos „hören“, nach technischen Anfangsproblemen kannst du nun jeden Freitag der Erklärung zu den Wochenabschnitten der Tora beim Wort zum Schabbat kurz nach Erscheinen auch im Podcast folgen – überall dort, wo du auch sonst Podcasts hörst. Drei Folgen stehen jetzt bereit. Und das kostet nichts…
Ich wünsche dir einen schönen Altjahrsabend mit einem „guten Rutsch“ ins neue Jahr. Möge 2024 mehr Schalom für Israel und in der Welt bringen!
Dein Ricklef Münnich
Im Zeichen des Bundes.
Der 1. Januar: Tag der Beschneidung Jesu
von Prof. Rainer Kampling (Berlin), erschienen im Januar 2007 in der Jüdischen Zeitung
Als Goethe bei seiner Italienischen Reise 1786 in Bologna auf Guercinos „Die Beschneidung Christi“ traf, schrieb er am 19. Oktober: „Ich verzieh den unleidlichen Gegenstand und freute mich an der Ausführung“. Die Aufnahme Jesu in den Bund ist weit mehr als ein künstlerisches Sujet. Bis zum Jahre 1969 gab es in der römisch-katholischen Kirche das Fest „Beschneidung des Herrn“. Die neutestamentliche Begründung für dieses Fest ist ein Satz im Lukasevangelium: „Und als acht Tage um waren und man das Kind beschneiden musste, gab man ihm den Namen Jesus, wie er genannt war von dem Engel, ehe er im Mutterleib empfangen war.“ (Lk 2:21)
Der Ursprung des Festes, das auch der Namensgebung große Bedeutung zumaß, liegt in der Ostkirche. Hier wurde es seit dem 4. Jahrhundert gefeiert. Die Orthodoxie begeht es auch heute noch. Seit dem 6. Jahrhundert ist es auch in der spanischen und gallischen Kirche bekannt. Von hier kam es im 11. Jahrhundert nach Rom und verdrängte ein Marienfest. Nach der Reform des Liturgischen Jahres der römisch-katholischen Kirche wurde der 1. Januar wiederum zum Hochfest der Gottesmutter Maria, mithin der alte Zustand wieder hergestellt.
Im Rückblick mag diese Entscheidung schwer nachvollziehbar sein, wenn man bedenkt, dass gerade das Zweite Vaticanum sich bemühte, ein neues, anderes Verständnis Israels als Volk Gottes zu gewinnen und dem Judesein Jesu hierfür eine große Bedeutung zumaß. Heute, da der einfache Satz, dass Jesus Jude war, bereits zum Grundbestand des Religionsunterrichts gehört, könnte man vielleicht fragen, ob die Beibehaltung des Festes der Beschneidung des Herrn nicht sehr hilfreich gewesen wäre. Ein Fest, das daran erinnert, dass Jesus wie jeder Jude gemäß des Bundes Gottes mit Abraham beschnitten wurde (Gen 17:10); ein kirchliches Fest, das an die Aufnahme in das Volk Israel erinnert - ist das nicht viel an memoria Iudaica in einer christlichen Umgebung? Nur so einfach liegt die Sache nicht. Beispielhaft sei das Rezitativ zum Fest der Beschneidung des Herrn in Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium zitiert: „Immanuel, o süßes Wort! Mein Jesus heißt mein Hort, mein Jesus heißt mein Leben, mein Jesus hat sich mir ergeben, mein Jesus soll mir immerfort vor meinen Augen schweben. Mein Jesus heißet meine Lust, mein Jesus labet Herz und Brust.“
Nicht einmal eine Spur der Erinnerung an den Juden Jesus findet sich hier, und damit steht Bach keineswegs allein. Der Umstand, dass Jesus von Nazaret als Jude geboren wurde, lebte und starb, spielte in der christlichen Religiosität so gut wie keine Rolle. Ja, man kann sagen, dass es fast gänzlich vergessen und verdrängt wurde. Der christliche Antijudaismus ließ dafür keinen Platz.
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