Chanukka • das 7. Licht || Advent als Bewährungsprobe
Rabbiner Dr. Jehoschua Ahrens: Chanukka und Advent feiern das Licht, doch Judenhass verdunkelt die Zeit. Jetzt muss sich zeigen, ob christliche Solidarität echt ist.
Ein täglicher Gedanke zu Chanukka von einem der jüdischen Autoren bei ahavta - Begegnungen tritt neben den „ahavta adventskalender“ – und dieser etwas zurück. Im Verlauf des Festes wird er nicht per E-Mail verschickt. Auf der Website findest du jedoch das gewohnte Foto mit einem Zitat.
Das jüdische Lichterfest Chanukka und die Advents- und Weihnachtszeit liegen nicht nur zeitlich nah beieinander, sondern haben auch beide mit Licht zu tun. Auch die zentralen Themen Hoffnung und Erlösung verbinden unsere Feiertage. Die christliche Hoffnung, dass Gott sich zeigt und handelt, macht diese Zeit vielleicht zur jüdischsten im Kirchenjahr.
Doch in diesem Jahr begegnen uns überall Hass und Hetze gegen Juden, auf der Straße wie in den Schulen – in den sozialen Medien sowieso. Mitglieder unserer Gemeinde in Bern trauen sich nicht mehr, sich offen als Juden zu zeigen. Sie sprechen aus Vorsicht kein Hebräisch mehr in der Öffentlichkeit und bringen ihre Kinder nicht mehr in den Religionsunterricht. Die Synagoge muss stark bewacht werden. Jüdische Kinder werden in den Schulen verbal und körperlich angegriffen, ein Rabbiner wurde in Basel bespuckt und beleidigt.
Was heißt das für Christinnen und Christen? Die Kirchen sind sich einig, dass es „echte Brüderlichkeit mit dem Volk des Bundes“ (Papst Johannes Paul II.) geben müsse. Die jüdisch-christlichen Beziehungen seien „einzigartig“ (EKD, Christen und Juden II). Die evangelische Kirche versteht „die fortdauernde Existenz des jüdischen Volkes, seine Heimkehr in das Land der Verheißung und auch die Errichtung des Staates Israel als Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk“ (Rheinischer Synodalbeschluss von 1980). Doch ist all das mehr als nur Floskeln und Sonntagsreden?
Karl Barth schrieb bereits 1938, also noch vor dem Novemberpogrom:
Mit ihnen [den Juden] hat Gott vor den Augen der Welt die Offenbarung seiner Gnade angefangen; mit ihnen wird er sie vollenden. Darum ist ihr Dasein so anstössig und verheissungsvoll. Es hat endgeschichtliche Bedeutung. ‚Das Heil kommt von den Juden’ (Joh. 4). Darum ist jeder Jude eo ipso ein Zeuge der Heiligkeit und der Treue Gottes. An unserer Stellung zu den Juden entscheidet es sich, ob der Glaube, die Liebe und die Hoffnung der Christenheit echt sind.
Nun gab es wieder ein Pogrom ähnlicher Tragweite. Was bedeutet das für Christen, die glauben, dass Jesus, der Auferstandene, als Messias Israels lebt und handelt? Wenn sie in der Geburt, im Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Gottes Spuren erkennen? Kann sich dieser Glaube jetzt bewähren?
Rabbiner Jonathan Sacks stellte fest: Der Antisemitismus nimmt in verschiedenen Zeitaltern verschiedene Formen an. Im Mittelalter wurde er theologisch konstruiert, seit dem 19. Jahrhundert rassenbiologisch begründet. Heute werden Juden wegen des Staates Israel gehasst. Der Antisemitismus mag viele Gesichter haben, aber eines bleibt gleich: die Überzeugung, dass Juden kein Recht haben, als freie und gleiche Menschen zu existieren.
Dabei ist für uns alle wichtig: Der Hass, der mit Juden beginnt, endet nie mit Juden. Er bedroht jede Gesellschaft, die auf den Prinzipien von Freiheit und Menschlichkeit für alle beruht. Wer die jüdischen Wurzeln des Christentums leugnet, fördert den Antisemitismus, der dem Christentum in letzter Konsequenz das Fundament entzieht. Antisemitismus fordert somit alle Menschen heraus. Auch die Mehrheitsgesellschaft kann sich nicht wegducken. Wir müssen alle gemeinsam für Demokratie und Freiheit einstehen. Gerade in dieser Stunde der Not wäre der Platz der Christen an der Seite des jüdischen Volkes. Hierin würde sich die christliche Adventshoffnung bewähren und bewahrheiten.
Rabbiner Dr. Jehoschua Ahrens


