Die Generation Noahs: „Sie merkten nichts“
Ein Jesuswort warnt: Die Zeitgenossen Noahs wollten nichts wissen von dem, was angesagt ist. Jetzt soll es anders sein!
Das Neue Testament versteht man am besten als „neu“, wenn man es als Echo, als Widerschall und Resonanz der Tora hört. Es klingt nicht aus sich selbst heraus.
Beim Wochenabschnitt „Noach“ denken christliche Prediger und Ausleger oft zuerst an das Pfingstereignis in Apostelgeschichte 2. Das Wirken des Geistes wird als Gegenstück zur Sprachenverwirrung und Zerstreuung der Menschen beim Turmbau zu Babel gesehen: Während in Babel die menschliche Überheblichkeit zu Spaltung und Unverständnis führte, bewirkte der Geist an Pfingsten, dass Menschen verschiedener Sprachen die eine Botschaft Gottes verstanden.
In der Apostelgeschichte ist das Geschehen, das sich nicht zufällig am Wochenfest, Schawuot, ereignet, jedoch tatsächlich ein Echo auf die Offenbarung der Tora am Sinai, wie rabbinische Überlieferungen, etwa von Rabbi Akiwa, zeigen. Lukas erzählt die pfingstliche Gabe des Geistes an die Gemeinde Jesu Christi als Entsprechung zu der an diesem Fest erinnerten Gabe der Tora an Israel. Mehr dazu liest du in meinem Beitrag vom 28. Mai 2023:
ahavta+ || Feuer und Flamme
Gestern wurde ich gefragt, wieso Schawuot die Offenbarung der Tora an Mose vom Sinai feiert – davon stünde doch nichts in der Bibel! Dort sei das Wochenfest ein landwirtschaftliches Fest der Einbringung der ersten Weizenernte. (Freilich hatte der Zuschauer bei
Beim Evangelisten Lukas finden wir freilich in Kapitel 17,26–30 ein Wort von Jesus, das auf die Generation Noahs Bezug nimmt.
Wie es zur Zeit Noachs war, so wird es auch zur Zeit des Menschensohns sein: Die Menschen aßen und tranken, sie heirateten und verheirateten ihre Kinder. Bis zu dem Tag, an dem Noah in die Arche ging; dann brach die Flut herein, und sie kamen alle um. Es wird auch sein wie zur Zeit Lots: Die Menschen aßen und tranken, sie kauften und verkauften, sie bestellten das Land und bauten Häuser. Aber an dem Tag, als Lot Sodom verließ, fielen Feuer und Schwefel vom Himmel und vernichteten alle. Genauso wird es an dem Tag sein, an dem der Menschensohn erscheint.
Bei Matthäus lesen wir in Kapitel 24,37–39 dieselbe Überlieferung, bei der jedoch die Erinnerung an die Tage von Lot fehlt:
Wenn der Menschensohn erscheint, wird es sein wie zur Zeit Noachs. Vor der großen Flut aßen und tranken die Menschen, sie heirateten oder verheirateten ihre Kinder. Bis zu dem Tag, an dem Noah in die Arche ging. Sie merkten nichts, bis die große Flut kam und sie alle hinwegraffte. Genau so wird es sein, wenn der Menschensohn sich zeigen wird.
Den Einbau dieser Überlieferung in den jeweiligen Kontext lasse ich hier beiseite: Bei Matthäus sind es die „Tage der Bedrängnis“, die deutlich mit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 n. Chr. und der Niederschlagung der jüdischen Aufstandsbewegung durch die Römer verbunden sind. Bei Lukas ist es die von pharisäischer Seite gestellte Frage, wann die Zeit der Königsherrschaft Gottes anbricht. Vielmehr prüfe ich, was das Jesuswort für sich genommen ausdrücken will.
Jesus sagt in diesem Wort nicht einfach: „Ihr werdet alle umkommen.” Die Erinnerung an die Generation Noahs ist vielmehr eine Warnung. Sie ist ein Hinweis, auf die Zeichen der Zeit zu achten, und nicht wie taub und blind das private Leben mit der Sorge um Essen und Trinken und Familienangelegenheiten fortzuführen, wenn eigentlich bereits etwas anderes, Größeres und Wichtigeres angesagt ist. Wenn sich nämlich ein Handeln Gottes ankündigt, das alles verändern und umstürzen wird.
Ein Midrasch aus Tanchuma zu 1. Mose 6,14 macht sehr deutlich, worum es geht:
Rabbi Huna sagt im Namen von Rabbi Jose: „120 Jahre lang warnte der Heilige, Er sei gesegnet, die Generationen der großen Flut, damit sie umkehrten. Als sie nicht umkehrten, sprach Er zu Noah: „Mach dir eine Arche aus Gofaholz.”
Noach ging hin und pflanzte Zedern. Die Menschen sprachen zu ihm: „Was sollen diese Zedern?” Er antwortete: „Der Heilige, Er sei gesegnet, will eine große Flut über die Erde kommen lassen und hat mich angewiesen, eine Arche zu bauen, damit ich mit meiner Familie entkomme.“ Aber sie lachten ihn aus und spotteten über das, was er sagte.
Er gab den Pflanzen Wasser, und sie wuchsen. Sie sprachen zu ihm: „Warum tust du das?” Er gab ihnen die gleiche Antwort, aber sie spotteten über ihn. Als es soweit war, fällte er die Bäume und begann, sie zu zersägen. Sie fragten ihn: „Was machst du da?” Er gab ihnen die gleiche Antwort und warnte sie.
Weil sie aber keine Umkehr taten, brachte der Heilige, Er sei gesegnet, die große Flut über sie.
Es gab einen sehr langen Zeitraum, in der die Generation Noahs hätte erkennen können, was bevorsteht. Eine Umkehr der Zeitgenossen hätte die Flut verhindert. Stattdessen erntete Noah – und damit auch Gott – nur Hohn und Spott.
Das Jesuswort will in diesem Sinne zum Ausdruck bringen: Die Zeit bis zum Kommen des Menschensohnes ist mit dieser Ansage eine, die eine neue Epoche darstellt. Sie ist eine Zeit der Veränderung. Eine Zeit des Handelns. Eine Zeit der Hin- und Umwendung zu IHM.
Wehe allerdings denen, über die gesagt werden müsste: „Sie merkten nichts“.



