ahavta+ || Die Tragödien Israels
Seit dem 9. des Monats Aw des vergangenen Jahres wurden weitere hinzugefügt
Jom Schischi, der sechste Tag der Woche, ist der neue Erscheinungstag für ahavta+. An diesem Tag sprach Gott bei der Erschaffung von allem: „Machen wir den Menschen in unserem Bild nach unserem Gleichnis!“ (1. Mose 1,26). Und so „schuf er den Menschen n seinem Bilde, im Bilde Gottes schuf er ihn“ , um anschließend zu sagen: „Gott sah alles, was er gemacht hatte, und da, es war sehr gut.“ Seitdem ist die große, nein, die größte Frage an Gott und an den Menschen zugleich, warum dann aber nicht alles gut ist. Warum es offenbar immer wieder sehr schlimm wird für SEIN Volk Israel, das er doch zusammen mit seiner Tora bereits bei der Schöpfung im Blick gehabt hat.
Über dieser Frage kann man verzweifeln. Manche werden darüber „anders“. Von einem von ihnen soll heute die Rede sein.
An Dienstag dieser Woche beging das jüdische Volk den 9. Tag des Monats Aw des Jahres 5784. Der Überlieferung zufolge ereigneten sich fünf einschneidende Tragödien am 9. Aw:
Die 12 Kundschafter, die Mose ausgesandt hatte, um das Land Israel zu erkunden, kehrten mit einer riesigen Traube und anderen üppigen Früchten zum Lager in der Wüste zurück. Mehr als darüber war das Volk beeindruckt von den mitgebrachten Geschichten von riesigen Kriegern, die dort wohnten, und behaupteten, das Land sei uneinnehmbar. Nachdem sie die ganze Nacht geweint und erklärt hatten, dass sie lieber nach Ägypten zurückkehren würden, als zu versuchen, es zu erobern und zu besiedeln, wurde diese ganze Generation dazu verurteilt, die nächsten 40 Jahre in der Wüste zu wandern (Deut. 1:35; Ta'anit 26b). Mehr als 15.000 starben jedes Jahr am 9. Aw für die nächsten 40 Jahre (Jerusalemer Talmud Ta'anit 3:7), bevor eine neue Generation unter der Führung von Jehoschua das Land Israel betrat.
Am 9. Aw des Jahres 3174 (586 v.u.Z.) zündete Nebusaradan, der General der babylonischen Armee, den Jerusalemer Tempel an.
Im Jahre 70 u.Z., am 9. Aw des Jahres 3830, zerstörten römische Armeen den zweiten Tempel. Im Jahr darauf, am 9. Aw 3831, pflügten die Römer das Gelände des Tempels, um es in eine römische Kolonie zu verwandeln (Ta’anit 26b).
Am 9. Aw des Jahres 3895, das ist 135 unserer Zeitrechnung, fiel Betar, der letzte unabhängige jüdische Vorposten, im zweiten jüdischen Krieg gegen die Römer nach dreijähriger Belagerung. 580.000 Juden verhungerten oder starben im Kampf, darunter auch Schimon Bar Kochba, der Anführer der Rebellion, dem es gelungen war, drei Jahre lang einen unabhängigen jüdischen Staat zu errichten (Ta'anit 26b).
Zum 9. Aw 3896, das ist 136 nach Christus, ließ Hadrian an der Stelle des zerstörten Tempels einen heidnischen Tempel errichten, benannte Jerusalem in Aelia Capitolina um und verbot Juden den Zutritt.
Andere Unglücke in der jüdischen Geschichte ereigneten sich ebenfalls am 9. Aw, darunter:
Die Vertreibung der Juden aus England durch König Edward I. im Jahr 1290.
Die Vertreibung der Juden aus Spanien im Jahr 1492.
Der Erste Weltkrieg, der 1914 ausbrach und den Weg für den Holocaust bereitete.
Der Beginn der Massendeportation von Juden aus dem Warschauer Ghetto nach Treblinka im Jahr 1942.
Benny Lau erinnerte in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift SAPIR daran, wie sich der Charakter des 9. Aw als Volkstrauertag des jüdischen Volkes, an dem traditionell nicht gegessen und getrunken und das biblische Buch der Klagelieder, Jeremias zu Herzen gehender Bericht über die Zerstörung Jerusalems, in gedunkelten Synagogen gelesen wird, nach 1948 zu verwandeln begann:
Mit der Staatsgründung und noch mehr nach dem Sechstagekrieg schien sich der Charakter des 9. Aw grundlegend zu ändern. Das Gefühl des Sieges schien die vielen Jahrhunderte der Zerstörung und der Trauer zu verdrängen und das Gefühl zu erzeugen, dass wir in einer messianischen Zeit lebten, in der die Erzählung der jüdischen Geschichte sich endlich von einer Geschichte der Trauer zu einer Geschichte des Triumphes wandeln würde.
Unmittelbar nach der Befreiung Jerusalems im Juni 1967 traf sich in Jerusalem eine Gruppe religiöser Gelehrter unter dem Namen „Bewegung für das Judentum der Tora“, um Fragen der Erneuerung der Halacha (dem jüdischen Gesetz) im heutigen Staat Israel zu diskutieren. Eines der ersten Themen, die in der Gruppe diskutiert wurden, war die Liturgie des Tischa BeAw – ihre Beschreibung Jerusalems als „traurige, zerstörte, elende und verlassene Stadt“ – und ihre offensichtliche Überholtheit im Moment der Erlösung. Die Mitglieder der Bewegung behaupteten aufrichtig und gründlich, dass dies nun ein falsches Gebet sei: Weit davon entfernt, elend und verlassen zu sein, wird Jerusalem wieder aufgebaut. Sie formulierten ein neues Gebet, das auf „Trost“ basierte und dessen Hauptzweck darin bestand, das Gebet von der Gegenwart in die Vergangenheit zu verlegen („die Stadt, die zerstört wurde“).
Dann kam der Jom-Kippur-Krieg, in dem die Beinahe-Niederlage Israels eine ernüchternde Wirkung auf den messianischen Eifer hatte. Als Reaktion darauf spaltete sich das Land in zwei Richtungen. Die eine Seite zog Israel nach Osten, in Richtung eines traditionalistischen und religiösen Nationalismus. Die andere Seite zog Israel nach Westen, in Richtung eines säkularen Liberalismus. Diese gegensätzlichen Strömungen hielten an und bildeten schließlich den Sturm der Justizreform bis zum 6. Oktober, auf den Tag genau 50 Jahre nach dem Ausbruch des Jom-Kippur-Krieges, als die Spaltung begann.
Und dann kam der 7. Oktober 2023…
Schabbat Schalom und einen guten Sonntag wünscht dir
dein Ricklef Münnich
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