Jizchak Rabins Vermächtnis: Israels unheilbare Wunden
30 Jahre nach seiner Ermordung ist Israels Hoffnung auf Frieden einem Trauma gewichen. Sein Erbe ist heute ein Spiegel für ein nach dem 7. Oktober zerrissenes Land.
11. September. 7. Oktober. Es gibt Daten, bei denen man das Jahr nicht nennen muss. Es gibt Daten, die den Lauf einer ganzen Nation, einer ganzen Welt verändert haben. Bei der Tragödie der Zwillingstürme am 11. September 2001 starben fast 3.000 Menschen, und der größte Angriff auf dem Boden der Vereinigten Staaten führte zu einem weltweiten Krieg gegen den Terror. Bei dem Überraschungsangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 wurden mehr als 1.150 Israelis getötet und ermordet – und trotz des Waffenstillstands ist unklar, ob der damals begonnene Krieg beendet ist.
Für Israelis sind auch der 6. Oktober und der 4. November solch ein Datum, bei dem jeder weiß, was gemeint ist. Im Krieg, der am 6. Oktober 1973, am Jom Kippur, ausbrach, fielen mehr als 2.600 Soldaten, und fünf Jahre später wurde ein Friedensabkommen mit Ägypten unterzeichnet.
Am 4. November 1995, heute vor 30 Jahren, erstarb auf einem Platz in Tel Aviv nicht nur ein Mann, sondern auch eine Hoffnung. Drei Schüsse aus der Waffe eines jüdischen Extremisten beendeten das Leben des israelischen Ministerpräsidenten Jizchak Rabin und rissen den Nahost-Friedensprozess in einen Abgrund, aus dem er nicht mehr herausgekommen ist. Damals stand Rabin auf einer Bühne, umgeben von Hunderttausenden, die seine Vision eines Friedens mit den Palästinensern feierten. Heute, 30 Jahre später und im Schatten des Traumas vom 7. Oktober 2023, ist Israel ein Land, dessen gesellschaftliche und politische Gräben tiefer scheinen denn je. Die Erinnerung an Rabin ist in Israel zu einem schmerzhaften Spiegel geworden, der zeigt, was war, was hätte sein können und was unwiederbringlich verloren scheint.
Der Mord, der Israel für immer veränderte
Die Ermordung Jizchak Rabins war das folgenschwerste politische Attentat in der Geschichte Israels und vielleicht sogar eines der folgenschwersten weltweit. Rabins Ermordung veränderte die Richtung des Landes grundlegend, denn es gab keinen zweiten Jizchak Rabin. Derjenige, der ihm am nächsten kam, war Ariel Scharon, aber er näherte sich dem Konflikt aus einer ganz anderen Perspektive.
Jizchak Rabin, der einstige Generalstabschef und „Falke“, der sich zur „Taube“ gewandelt hatte, schlug mit den Osloer Abkommen einen Weg ein, der für viele Israelis undenkbar war: die gegenseitige Anerkennung mit der PLO von Jassir Arafat und die schrittweise Übergabe von Autonomie an die Palästinenser. Dieser Prozess brachte ihm den Friedensnobelpreis ein, spaltete aber auch die Nation. Von Teilen der Rechten und religiöser Nationalisten wurde er als „Verräter“ diffamiert. Die politische Hetze schuf jenes Klima, in dem der Jurastudent Jigal Amir seine Tat als gottgefälliges Werk zur Rettung des Landes vor territorialen Zugeständnissen sah.
Was wäre, wenn…? 
Was wäre geschehen, wenn Rabin überlebt hätte? Ob ein Friedensabkommen mit Arafat zustande gekommen wäre, bleibt Spekulation – die Geschichte legt nahe, dass Arafat dazu nie wirklich bereit war. Doch wenn jemand die Fähigkeit und das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft besaß, diesen Versuch zu unternehmen, dann war es Rabin.
Er war entschlossen, die Schaffung unumkehrbarer Fakten durch Siedler zu verhindern, die einen zukünftigen Frieden verunmöglicht hätten. Nach dem Massaker des Extremisten Baruch Goldstein an muslimischen Betenden in Hebron stand Rabin kurz davor, die dortige jüdische Siedlung räumen zu lassen.
Der verheerendste Aspekt des Attentats war der Brudermord: ein Jude, der den israelischen Premierminister im Namen einer Ideologie tötete. Besonders schmerzhaft ist für viele ihre Erkenntnis, dass politische Kräfte, die damals das vergiftete Klima der Hetze schufen, heute wieder an der Macht sind und erneut Taktiken der Aufwiegelung und Diffamierung nutzen.
Ein Klima der Hetze
„Ja zum Frieden, Nein zur Gewalt“, war 1995 der Name der Kundgebung, die – mit voller Unterstützung der Regierung – von Schlomo Lahat , dem ehemaligen Bürgermeister von Tel Aviv, und dem Geschäftsmann Jean Frydman organisiert wurde. Dies geschah, nachdem die Regierung der Ansicht war, die Straße sei der Rechten überlassen worden – und nach einer Reihe großer Demonstrationen gegen den Oslo-Prozess, die einen Monat zuvor in einer Demonstration auf dem Zion-Platz in Jerusalem gipfelten. Bei dieser Demonstration stand Benjamin Netanjahu – damals Oppositionsführer und seitdem für fast 18 Jahre Premierminister – auf dem Rednerbalkon, während Anwesende in der Menge „Tod für Rabin“ und „Rabin Verräter“ riefen und ein Bild von ihm in SS-Uniform zeigten.
Einige Tage später stürzte sich eine Menge auf Rabins Auto, als er an einer Versammlung im Wingate-Institut teilnahm, und einer der Anwesenden versuchte sogar, ihn anzugreifen. Nach diesem Vorfall gab Itamar Ben-Gvir – damals Kach-Aktivist und heute Minister für Nationale Sicherheit – ein Interview, zeigte ein Cadillac-Emblem, das er nach eigenen Angaben von Rabins Auto abgerissen hatte, und sagte: „So wie wir an dieses Emblem gekommen sind, können wir auch zu Rabin gelangen“. Der Wunsch, eine riesige Gegenkundgebung zu organisieren, entstand infolge all dieser Ereignisse, aber Rabin zögerte – die größte Sorge war eine geringe Teilnehmerzahl. Führende Künstler zogen es vor, nicht aufzutreten. Lahat wollte Shalom Hanoch und Shlomo Artzi, aber sie lehnten ab. Auch Gidi Gov sagte ab, kam aber dennoch zur Kundgebung. Aviv Geffen war vielleicht der einzige hochrangige Künstler, der bei der Kundgebung sang.
Rabin selbst ließ sich schließlich überzeugen, trotz der Warnungen vor einem nationalistischen Terroranschlag. Schätzungen zufolge kamen 100.000 Menschen zum Platz der Könige Israels, und Lahat sagte: „Eine Kundgebung dieser Größe hat es seit Bestehen Tel Avivs nicht mehr gegeben“. In seiner Rede auf der Bühne und in Interviews wenige Minuten später betonte Rabin den „Wunsch des Volkes in Israel nach Frieden, neben dem Widerstand gegen die Gewaltausbrüche, die es in der Geschichte des Staates Israel noch nie gegeben hatte“. Doch Minuten später ereignete sich ein beispielloser Gewaltausbruch – und drei Schüsse aus nächster Nähe von einem Jurastudenten der Bar-Ilan-Universität veränderten die Geschichte.
In der Übersetzung einer Chronologie, die Saar Hass für Ynet erstellt hat, bringe ich unten die Geschehnisse des 4. November 1995 in Erinnerung. Der Autor schließt mit den Worten:
30 Jahre sind vergangen, und wir müssen noch immer die Scherben dieses Abends aufsammeln.
Der Schock über den Mord saß tief. Es war nicht nur ein politisches Attentat; es war ein Brudermord, der das Fundament der israelischen Gesellschaft erschütterte. Zum ersten Mal hatte ein Jude einen jüdischen Premierminister ermordet. Das Trauma, so schien es für einen kurzen Moment, schweißte die Nation zusammen. Die „Kerzenjugend“ trauerte auf dem später in „Rabin-Platz“ umbenannten Ort des Geschehens um ihre verlorene Unschuld und die Hoffnung auf eine normale Zukunft. Doch die Einheit war trügerisch und von kurzer Dauer. Die politischen Verwerfungen, die zum Mord geführt hatten, blieben bestehen und verhärteten sich. Rabins politischer Erbe, Schimon Peres, verlor die Wahlen im folgenden Jahr gegen Benjamin Netanjahu als einem der schärfsten Kritiker der Oslo-Verträge, und der Friedensprozess geriet ins Stocken.
Rabins Erbe im Schatten des 7. Oktober
Dreißig Jahre später ist die Zwei-Staaten-Lösung, das Kernstück von Rabins Vision, für die Mehrheit der Israelis unvorstellbar geworden. Die Hoffnung auf Frieden, die mit seinem Namen verbunden war, ist einer tiefen Ernüchterung gewichen. Das hat der 7. Oktober bewirkt. Der brutale Terrorangriff der Hamas, bei dem über 1.200 Menschen ermordet und Hunderte als Geiseln verschleppt wurden, stürzte Israel von einem Tag auf den anderen in ein neues, fundamentales Trauma. Das Sicherheitsversprechen des Staates an seine Bürger wurde in seinen Grundfesten erschüttert und die Vorstellung eines Friedens mit einer Organisation wie der Hamas wurde gänzlich zunichte.
In dieser neuen, düsteren Realität wird Rabins Ermordung neu bewertet. Einerseits erscheint seine Vision heute ferner und für manche naiver denn je. Die Kompromisslosigkeit der Hamas scheint die Kritiker von damals zu bestätigen, die warnten, dass territoriale Zugeständnisse nur als Schwäche ausgelegt würden. Das Gebot der Stunde ist Sicherheit, nicht Frieden um jeden Preis.
Der Ruf nach Verantwortung
Andererseits hat das kollektive Versagen der politischen und militärischen Führung am 7. Oktober eine tiefe Sehnsucht nach einer anderen Art von Führung geweckt – einer Führung, die Verantwortung übernimmt. Genau hier wird die Figur Rabins zur Projektionsfläche.
Am Samstag fand die Gedenkfeier zum 30. Jahrestag der Ermordung von Premierminister Rabin statt. Ein Redner erinnerte an Rabins einstige Sorge, dass zu wenige Menschen zu seiner letzten Friedenskundgebung erscheinen würden, und an seine Rührung, als Hunderttausende den Platz füllten. Eine ähnliche Ungewissheit ging der Gedenkfeier am Samstagabend voraus, die letztlich mindestens 150.000 Menschen anzog.
Die führenden Oppositionspolitiker waren anwesend und dominierten die Bühne. Oppositionsführer Yair Lapid sprach eloquent über die Notwendigkeit des Friedens, obwohl er in der Vergangenheit nicht vordergründig mit Friedensinitiativen in Verbindung gebracht wurde. Zum klaren Höhepunkt des Abends geriet der Auftritt von Yair Golan. Der Vorsitzende der Demokratischen Partei erhielt für seine Rede, die von Beobachtern als die „Rede seines Lebens“ bezeichnet wurde, die enthusiastischste Reaktion des Publikums.
Der ehemalige Generalstabschef Gadi Eisenkot zog eine direkte Linie von damals zu heute: „Das waren andere Zeiten, als Führungskräfte noch Verantwortung übernahmen – in Worten und Taten. Verantwortung – genau das ist es, wonach sich Israel heute sehnt“. Diese Worte waren eine unmissverständliche Kritik an Premierminister Netanjahu, der eine persönliche Verantwortung für die Versäumnisse des 7. Oktober von sich weist.
Das Urteil der Geschichte steht noch aus
Die Ermordung Rabins war mehr als der Tod eines Friedensstifters; sie war ein Anschlag auf die israelische Demokratie von innen. Der 7. Oktober war ein verheerender Schlag von außen. Heute kämpft Israel mit den Folgen beider Traumata gleichzeitig. Die Gesellschaft ist polarisiert wie selten zuvor. Schon vor dem Hamas-Angriff hatten die monatelangen Massenproteste gegen die Justizreform der Regierung Netanjahu das Land an den Rand einer inneren Zerreißprobe gebracht. Der Krieg hat diese Spaltungen nicht geheilt, sondern nur neue Verwerfungslinien hinzugefügt.
Auf den Straßen Tel Avivs demonstrierten Zehntausende für die Freilassung der Geiseln und warfen der Regierung vor, nicht genug für ihre Rückkehr zu tun. Gleichzeitig unterstützten andere den harten militärischen Kurs und forderten die Zerstörung der Hamas um jeden Preis. In dieser zersplitterten Landschaft ist die Erinnerung an Rabin selbst zum Politikum geworden. Für die eine Seite ist er ein Märtyrer des Friedens, dessen Vision verraten wurde. Für die andere ist sein Weg gescheitert und seine Ermordung, so tragisch sie war, eine historische Fußnote auf einem Weg, der ohnehin in die Irre geführt hätte. So steht eine abschließende Bewertung der Entscheidungen von Jizchak Rabin auch nach 30 Jahren noch aus.
Israel im Kampf mit sich selbst
Dreißig Jahre nach den tödlichen Schüssen von Tel Aviv hallt das Echo von Rabins unvollendeter Mission nach. Sein Vermächtnis ist heute keine einfache Heldengeschichte, sondern ein komplexes, schmerzhaftes Symbol für ungelöste Widersprüche. Es steht für den derzeit unlösbaren Konflikt zwischen dem Streben nach Sicherheit und der Sehnsucht nach Frieden, zwischen jüdischer Identität und demokratischen Werten, zwischen nationaler Einheit und Gruppeninteressen.
In Israel konnten die Wunden von 1995 nie heilen. Nun sind die noch nicht vernarbten Verletzungen des Jahres 2023 hinzugekommen. Die Frage, wie Israel nach einem so tiefen Trauma wieder zu sich selbst finden kann, ist heute so drängend wie damals – und ebenso unbeantwortet.
Der Tag, der das Land veränderte
von Saar Hass
Mittag, Tel Aviv
Letzte Vorbereitungen auf dem Platz der Könige Israels für die Kundgebung „Ja zum Frieden, Nein zur Gewalt“, zu der Premierminister Jitzchak Rabin nach Überzeugungsarbeit seine Teilnahme zugesagt hatte. Die Organisatoren: der ehemalige Bürgermeister von Tel Aviv, Shlomo Lahat (Tschitsch), und der Geschäftsmann Jean Frydman.
Mittag, Herzliya
Jigal Amir, Jurastudent an der Bar-Ilan-Universität und radikaler rechter Aktivist, spricht mit seinem Bruder Hagai und teilt ihm mit, dass er beabsichtigt, Rabin bei der Kundgebung zu ermorden. Dies geschieht nach mehreren früheren Versuchen von Jigal Amir, Rabin bei anderen Gelegenheiten zu ermorden, die er mit Hagai und Dror Adani besprochen hatte. Jigal Amir erwähnt dies im Laufe des Tages nicht erneut, und Hagai versucht nicht, ihn davon abzuhalten. Nach einem Mittagessen mit der Familie liest Jigal Amir während der Sabbatruhe in heiligen Schriften.
Nachmittag, Tel Aviv
Auf dem Platz der Könige Israels werden bereits Schilder aufgehängt, darunter „Ein starkes Volk schafft Frieden“ und „Das Volk hat sich für den Frieden entschieden“.
Nachmittag, Herzliya
Jigal Amir geht in die Synagoge und bittet Gott, ihm zu erlauben, das zu vollenden, worauf er sich zwei Jahre lang vorbereitet hatte – den Premierminister zu ermorden. Er wiederholt das „Vidui“ – ein Gebet, das manchmal vor dem Tod gesprochen wird.
Früher Abend, Tel Aviv
Der Platz beginnt sich zu füllen, und viele kommen zur ersten großen Kundgebung für den Frieden, nach einer Reihe von Demonstrationen der Rechten.
Früher Abend, Herzliya
Jigal Amir nimmt seine Beretta-Pistole, schließt sich in seinem Zimmer ein und vergewissert sich aus Angst, vom Shin Bet verfolgt zu werden, dass niemand die Kugeln durch Platzpatronen ersetzt hat. Er leert das Magazin und lädt es mit neuen Kugeln wieder auf – darunter auch „verbesserte“ Kugeln, die sein Bruder Hagai vorbereitet hatte.
19:00 Uhr
Im Radio wird berichtet, dass bereits viele Tausend Menschen auf dem Platz der Könige Israels angekommen sind. Bei der benachbarten Demonstration der Rechten befinden sich nur wenige Dutzend, darunter Avishai Raviv, der Shin-Bet-Agent „Champagne“.
19:15 Uhr
Letzte Vorbereitungen vor Beginn der Kundgebung, Yafa Yarkoni und Miri Aloni sind auf der Bühne.
19:30 Uhr
Die Kundgebung beginnt, Corinne Allal singt „Irgendwo im Herzen“, Dana Berger singt „Schick mir Stille“ und die Band Ha’Irusim singt „Wenn“ – das mit den Worten beginnt: „Wie lange noch wird das Schwert fressen, o Gott der Kriege“.
19:35 Uhr
Der Sicherheitsbeamte Yoram Rubin, verantwortlich für das fünfköpfige Sicherheitsteam von Rabin, klopft an die Tür des Hauses des Premierministers in Tel Aviv und teilt ihm mit, dass der gepanzerte Cadillac mit dem Fahrer Menachem Damti unten wartet. Rubin sitzt neben dem Fahrer Damti, und hinten sitzen der Premierminister und seine Frau Leah Rabin. Drei weitere Sicherheitsbeamte der Shin-Bet-Einheit für Personenschutz befinden sich im zweiten Auto, neben dem Fahrer des Chevrolet Caprice. Während der kurzen Fahrt zum Platz ruft Danny Yatom, Rabins Militärsekretär, im Fahrzeug des Premierministers an und übermittelt Informationen über die Befürchtung eines Selbstmordanschlags des Islamischen Dschihad bei der Kundgebung – als Rache für die Ermordung des Gründers und Anführers der Organisation, Fathi Schikaki, eine Woche zuvor auf Malta. Yatom weist den Shin Bet an, die Sicherheitsvorkehrungen zu verstärken, Rabin weicht nicht von seiner Entscheidung ab, an der Kundgebung teilzunehmen.
19:40 Uhr
Die Schauspielerin Hanna Maron, die 1970 bei einem Terroranschlag am Flughafen München verletzt wurde, hält eine Eröffnungsrede. Der Schriftsteller S. Yizhar spricht nach ihr, und die „Kriegssängerin“ Yafa Yarkoni singt das Lied von Haim Hefer „Ja, es ist möglich“, in dessen Zentrum die Sehnsucht nach Frieden steht.
19:45 Uhr
Jigal Amir kommt auf dem Platz der Könige Israels an. Dies geschieht, nachdem er sich aus seinem Haus in Herzliya geschlichen hat, ohne sich zu verabschieden, zu einer Bushaltestelle geht und in die Linie 247 steigt. Um nicht aufzufallen, trägt er ein T-Shirt und Jeans, nimmt seine Kippa ab und steckt sie in die Tasche.
19:45 Uhr
Jitzchak und Leah Rabin kommen auf dem Platz an, Tschitsch begleitet sie zur Bühne und zeigt ihnen die Menschenmassen, die gekommen sind und „Rabin, Rabin“ rufen. Der Platz ist vollständig gefüllt, auch die umliegenden Straßen sind überfüllt, und Schätzungen zufolge drängen sich 100.000 Menschen in der Gegend. Peres ist auf der Bühne zu sehen, wo der Vertreter des marokkanischen Königs, Talal Ghoufrani, sowie die Botschafter Ägyptens und Jordaniens, Mohamed Bassiouny und Marwan Muasher, sprechen.
19:55 Uhr
Ein Jahr, nachdem ihre Tochter Shira Maroz bei einem Anschlag in der Dizengoff-Straße in der Buslinie 5 ermordet wurde, spricht die trauernde Mutter Leah und bewegt das Publikum: „Shira wollte leben. Ich weiß, wenn man sie heute fragen würde, würde sie ohne Zögern sagen: ‚Ja, ich will Frieden. Ich glaube an den Frieden, ich denke, man muss Frieden schaffen, alles, um Frieden zu erreichen‘. Aber meine Shira kann heute nicht hier sein und ihre Gedanken äußern, und deshalb stehe ich hier und bin ihr Mund. Für uns, für unser Volk, für unsere Zukunft und die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder, zum Gedenken an unsere Shira.“ Nach ihr singt Dorit Reuveni „Ein Haus am Ende des Regenbogens“.
20:05 Uhr
Peres betritt unter Rufen wie „Heyda Shimon“, „Frieden, Frieden“ und „Peres, das Volk ist mit dir“ die Bühne für seine Rede. Auf der Bühne sagt die Nummer 2 der Arbeitspartei, Rabins langjähriger Rivale: „Dies ist eine Kundgebung für den Frieden, für eine Regierung des Friedens, dies ist eine Regierung, die entschieden hat, dass es besser ist, im Frieden zu siegen, als bei Wahlen zu siegen. Wir werden uns nicht einschüchtern lassen und den Prozess fortsetzen. Meine Vision – auf dem Platz der Könige Israels werden die Könige Arabiens stehen. Wir werden im Frieden siegen, wenn wir bei den Wahlen siegen. Israel ist klug genug, um mit allen arabischen Staaten Frieden zu schließen.“ Lautes Buhen ist zu hören, als der Name Netanjahus fällt.
20:10 Uhr
Jigal Amir auf dem Platz. Er findet die beiden Autos des Premierministers auf dem belebten Parkplatz des Gan Ha’Ir. Er will hineingehen, als er Amit Hampel, einen anderen Studenten aus Bar-Ilan, erkennt und zurückweicht – aus Angst, Hampel könnte ihn erkennen, sich fragen, was er bei einer Friedenskundgebung macht und warum er keine Kippa trägt. Er mischt sich unter die Menge, geht über den ganzen Platz und kehrt dann zum Parkplatz zurück, diesmal von Westen.
20:10 Uhr
Rabin tritt ans Rednerpult, legt seinen Arm um Peres’ Taille – und Peres erwidert mit einer kurzen Umarmung und einem warmen Händedruck. Das Publikum ist in Ekstase, ruft unaufhörlich „Rabin, das Volk ist mit dir“ und der Premierminister gesteht: „Erlauben Sie mir zu sagen – auch ich bin bewegt“. In seiner letzten Rede sagt er:
„Ich möchte jedem Einzelnen von Ihnen danken, der sich hier gegen die Gewalt und für den Frieden versammelt hat. Diese Regierung, an deren Spitze ich die Ehre habe zu stehen, zusammen mit meinem Freund Shimon Peres, hat beschlossen, dem Frieden eine Chance zu geben. Einem Frieden, der die meisten Probleme des Staates Israel lösen wird. Ich war 27 Jahre lang Soldat. Ich habe gekämpft, solange es keine Chance auf Frieden gab. Heute glaube ich, dass es eine Chance auf Frieden gibt, eine große Chance. Wir müssen sie nutzen für die, die hier stehen, und für die, die nicht hier stehen. Und das sind viele im Volk.
Ich habe immer geglaubt, dass die Mehrheit des Volkes Frieden will, bereit ist, ein Risiko für den Frieden einzugehen. Und Sie hier, mit Ihrer Anwesenheit bei dieser Kundgebung, beweisen dies, zusammen mit vielen anderen, die nicht hierhergekommen sind, dass das Volk wirklich Frieden will und sich gegen Gewalt ausspricht. Gewalt untergräbt die Grundlage der israelischen Demokratie. Man muss sie verurteilen, sie brandmarken, sie isolieren. Das ist nicht der Weg des Staates Israel. In einer Demokratie kann es Meinungsverschiedenheiten geben, aber die Entscheidung wird in demokratischen Wahlen fallen. Der Frieden ist mit Schwierigkeiten verbunden, auch mit Schmerzen. Es gibt keinen Weg für Israel ohne Schmerzen. Der Weg des Friedens ist dem Weg des Krieges vorzuziehen. Das sage ich Ihnen als jemand, der Soldat und Verteidigungsminister war und die Schmerzen der Familien der IDF-Soldaten sieht. Für sie, für unsere Söhne und Enkel, möchte ich, dass diese Regierung jeden Funken, jede Möglichkeit ausschöpft, um voranzukommen und einen umfassenden Frieden zu erreichen.“
20:20 Uhr
Tschitsch, der Organisator und Moderator der Kundgebung – der 19 Jahre lang Bürgermeister von Tel Aviv war – kehrt nach Rabins Rede ans Rednerpult zurück und verkündet der Menge: „Eine Kundgebung dieser Größe hat es seit Bestehen Tel Avivs nicht mehr gegeben“.
20:22 Uhr
Während er neben Peres und dem Knesset-Vorsitzenden Shevah Weiss sitzt, sagt Rabin zum Journalisten Dov Gil-Har von Channel 2 News: „Die Zehntausenden hier sind nur ein Ausdruck der Mehrheit im Volk, die Frieden will und sich gegen die beispiellosen Gewaltausbrüche im Staat Israel ausspricht. Eine Gewalt, die versucht, die Grundlagen der Demokratie im Staat zu untergraben. Es ist an der Zeit, dass der Likud seine Scheinheiligkeit beendet. Einerseits ist er gegen Gewalt. Andererseits ist er ein Hauptbeteiligter an der Gewalt. Nicht Gewalt, sondern Frieden. Das ist die Botschaft dieser Demonstration.“
20:25 Uhr
Der jüngste Redner der Kundgebung, Maor Abergil, betritt die Bühne. „Ich möchte ein Soldat des Friedens sein“, sagt Maor, 17 Jahre alt aus Lod.
20:30 Uhr
Im Monat vor der Kundgebung wandte sich Tschitsch an einige der führenden Sänger des Landes mit der Bitte, dort zu singen, aber einige lehnten ab. Shalom Hanoch gehörte zu denen, die absagten, auch Gidi Gov sagte nein – war aber bei der Kundgebung anwesend.
Wer sang also, außer den bereits erwähnten und denen, die noch erwähnt werden?
Die Gruppe „HaGiv’atron“ mit einem Medley von Liedern, das „Wir haben euch Frieden gebracht“, „Ich wurde für den Frieden geboren“ und „Morgen“ umfasste.
Yishai Levi sang „Friede sei mit dir, Gaza“, das er in der Sendung von Dan Margalit neben einem weiteren Gast, Shimon Peres, vortrug.
Ehud Manor rief das Publikum auf, mit ihm „Ich habe kein anderes Land“ zu singen.
Achinoam Nini und Gili Dor trugen „Nachtpsalm“ vor.
Haya Samir sang auf eigenen Wunsch „Das lila Kleid“, nachdem man anfangs wollte, dass sie „Lied für den Frieden“ singt.
20:50 Uhr
Aviv Geffen, vielleicht der prominenteste Sänger unter denen, die zugesagt hatten, aufzutreten, nimmt eine kurzfristige Änderung vor: Statt seinen Hit „Eine Milliarde irren sich“ zu singen, entscheidet sich Geffen für „Um dich weinen“ – ein Lied, das er zum Gedenken an seinen Freund Nir Shpiner schrieb, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam und das ursprünglich von Arik Einstein gesungen wurde. Er widmet das Lied „allen, die den Frieden nicht mehr erleben werden“, und nachdem er von der Bühne gegangen ist, umarmt ihn Rabin und Leah gibt ihm einen Kuss. Nach der Ermordung Rabins erhält das Lied eine neue Bedeutung, wird zu einem der am stärksten mit dem Mord identifizierten Lieder und zur inoffiziellen Hymne der Kerzenjugend.
21:00 Uhr
Jigal Amir passiert mühelos die Polizisten, die auf dem Parkplatz des Gan Ha’Ir postiert sind, und gelangt bis auf 5 Meter an den Cadillac des Premierministers heran. Er lehnt sich an eines der Ausrüstungsfahrzeuge und wartet. Von dort hat er einen klaren Blick auf die Treppe, die Rabin hinabsteigen soll. In den nächsten 40 Minuten wartet er weiter – an den Van gelehnt oder an einen Blumenkasten in der Nähe des Treppenfußes.
Die Polizisten um Amir herum nehmen fälschlicherweise an, er sei ein Fahrer – oder vielleicht sogar ein Geheimdienstmitarbeiter. Um jeden Verdacht zu zerstreuen, unterhält er sich mit einem der Polizisten über Aviv Geffen. „Was für ein Verrückter“, bemerkt er, als Geffen von der Bühne geht. Zweimal bemerkt er einen Polizisten, der sich ihm nähert – aber im letzten Moment umkehrt. Der Shin-Bet-Offizier, der für die Sicherung des Bereichs als steril verantwortlich war, befand sich nur zwei Autos von Amir entfernt. Er kannte die Geheimdienstinformation über einen „jemenitischen Burschen mit lockigem Haar“, der den Premierminister ermorden wolle – und bemerkte Amir dennoch nicht.
21:05 Uhr
Yossi Sarid, der Umweltminister, hält eine Rede und redet lange. „1996 werden wir den Geist der Versöhnung zwischen uns und dem palästinensischen Volk stärken. Vorwärts, zum Frieden mit Syrien“, sagt Sarid von Meretz, und Rabin verliert die Geduld. „Er soll endlich fertig werden“, zischt er Shimon Peres zu, der neben ihm sitzt, und zur Meretz-Vorsitzenden Shulamit Aloni sagt er: „Er redet mehr als ich und Peres“. Aloni antwortet: „Er hat sich selbst aufgedrängt. Warum hast du zugestimmt?“, und versucht, Rabin zu beruhigen: „Reg dich nicht auf, du hattest eine großartige Rede. Alle lieben dich, fühl dich gut“.
21:10 Uhr
Die Kundgebung neigt sich dem Ende zu, aber vorher gibt es noch einen Auftritt – der die Menge überrascht und bewegt: Miri Aloni ruft Rabin und Peres auf, mit ihr das „Lied für den Frieden“ zu singen. Der Produzent Gadi Oron hatte im Voraus 200 Exemplare mit dem Text des Liedes von Yaakov Rotblit gedruckt, und diese wurden an den Premierminister und den Außenminister sowie an die anderen Würdenträger auf der Bühne verteilt.
„Wir singen das zusammen, dieser Abend ist euch gewidmet, den Friedensstiftern“, sagt Miri Aloni, Peres singt mit lauter Stimme „Bringt den Tag“, Rabin murmelt „Singt ein Lied für den Frieden“ – und am Ende des Auftritts faltet er das Blatt mit dem gedruckten Text zusammen und steckt es in seine Jackentasche.
21:25 Uhr
Das Singen der Hatikwa, und die Zehntausenden auf dem Platz der Könige Israels beginnen sich zu zerstreuen. Der Leiter der Ermittlungsabteilung des Bezirks Yarkon, Superintendent Moti Naftali, ruft seine Frau an und sagt ihr, dass er bald nach Hause kommen werde. „Alles ist glatt gelaufen, Gott sei Dank.“
21:28 Uhr
Im Video von Roni Kempler sind die Minister Ora Namir und Yossi Sarid zu sehen, wie sie den Ort vom Parkplatzbereich aus verlassen, und Minister Shimon Shetreet beantwortet Fragen des Studenten Mordi Israel – der keine Pressekarte besitzt und sich dennoch in dem als „steril“ geltenden Bereich aufhält. Kempler wird aufgefordert, den Ort zu verlassen und begibt sich an einen anderen Standort – das Dach des Gan Ha’Ir, das den Parkplatz überblickt.
21:35 Uhr
Der Sicherheitsbeamte Yoram Rubin führt Rabin in Richtung der Parkplatztreppe, und der Premierminister wird ständig für einen Händedruck und ein Foto angehalten. Auf dem Weg nach draußen erinnert sich Rabin, dass er vergessen hat, Tschitsch für die Organisation der Kundgebung zu danken. Er kehrt zur Bühne zurück und umarmt ihn. Dann macht er sich wieder auf den Weg nach draußen – Rubin zu seiner Rechten, der Sicherheitsbeamte Shai Glaser zu seiner Linken und zwei Shin-Bet-Leute hinter ihm.
21:38 Uhr
Jigal Amir ist im Video von Kempler zu sehen, wie er auf einem Blumenkasten sitzt, nur wenige Meter von der Treppe entfernt – und später ungestört dasteht und die Treppe beobachtet, von der Premierminister Rabin und Außenminister Peres kommen sollen. Kurz darauf wird er im Gespräch mit Polizisten auf dem Platz gesehen – aber diese lassen ihn bei der Ankunft von Peres’ Auto allein.
21:40 Uhr
Peres geht die Treppe zum Parkplatz hinunter, und Amir beobachtet ihn. Im Video von Kempler ist deutlich zu sehen, dass der Außenminister Amir den Rücken zukehrt und auch die Sicherheitsleute nicht in Richtung desjenigen blicken, der zum Mörder des Premierministers werden sollte – hätte er gewollt, hätte er auf Peres schießen können. Sekunden später gelangt Peres in die Nähe des Wagens des Premierministers, der neben seinem Dienstwagen geparkt ist, und unterhält sich mit Menachem Damti, Rabins Fahrer. Zwischen Amir und Peres befindet sich nur das Auto.
21:41 Uhr
Auf der Treppe sieht der Sicherheitsbeamte Yoram Rubin die Menge auf dem Parkplatz und die Menschenmassen zur Rechten. Er geht, wie er es gelernt hat, davon aus, dass die Gefahr von dieser Seite kommen wird – wo die Leute versuchen, die Absperrung zu überwinden und Rabin die Hand zu schütteln. Der Parkplatz zur Linken, wo Amir wartet, sollte gesichert sein. Gegen Ende des Treppenabstiegs dreht Rabin den Kopf und fragt sich, wo seine Frau ist: „Wo ist Leah?“ Sie hält sich weiter oben auf und befindet sich am oberen Ende der Treppe. An diesem Punkt betritt Rabin das Sichtfeld von Amir.
21:42 Uhr
Jigal Amir steht in dem Moment auf, als Premierminister Rabin die Treppe hinunterkommt. Er sieht, wie Yoram Rubin seinen linken Arm auf den Rücken des Premierministers legt, um ihn zum Cadillac zu lenken. Er wartet noch einen Moment, bis Rabin ihm schon sehr nahe ist, und geht dann vorwärts, umgeht die Sicherheitsleute, die dem Premierminister folgen, findet eine freie Lücke – und zieht die Beretta-Pistole aus seiner Hose.
Amir geht am Studenten Mordi Israel vorbei, streckt dann die Pistole nach vorne und feuert drei Schüsse aus einer Entfernung von etwa 60 cm ab. Der erste trifft Rabin in den Rücken. Der zweite trifft den linken Ellenbogen des Sicherheitsbeamten Rubin, mit dem er den Premierminister gehalten hatte. Die dritte Kugel trifft Rabin in den unteren Rücken. Der Premierminister dreht noch den Kopf nach hinten und bricht dann zusammen. Der Fahrer Damti eilt zum Auto, Rabin wird sofort hineingebracht und innerhalb von Sekunden verlässt es den Ort.
Die Beretta-Pistole, die Amir bei dem Attentat benutzte, fällt auf den Gehweg, und Polizisten stürzen sich auf den Mörder. Gemäß der Vorschrift sollte, wenn eine Person auf einen Beschützten der Personenschutzeinheit schießt, die zweite Kugel auf den Attentäter gerichtet sein. Aber in diesem Fall feuerte Amir drei Schüsse ab – und wurde selbst überhaupt nicht beschossen. In diesem Moment ist ein Schrei zu hören: „Platzpatronen, Platzpatronen“. Auch 30 Jahre später, und obwohl eine staatliche Untersuchungskommission den Mord untersuchte, ist nicht mit Sicherheit bekannt, wer diesen Ruf ausstieß, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich um den Mörder handelte.
21:43 Uhr
Rabin schafft es noch, dem Sicherheitsbeamten Rubin zu sagen, dass er verletzt ist. „Es tut weh, aber nicht so schlimm“, sagt er und verliert dann das Bewusstsein. Mit seinem kaum funktionierenden linken Arm versucht Rubin, der selbst verletzt ist, den Premierminister wiederzubeleben. Der Fahrer Damti tritt aufs Gas, fährt mehrmals über rote Ampeln, ist sich aber über den Weg zum Ichilov-Krankenhaus nicht sicher. Im Rückspiegel sieht er Rubin über den Premierminister gebeugt. „Wie ist sein Zustand? Was ist mit Rabin?“, fragt er mehrmals. Auf dem Weg zum Krankenhaus entdeckt Damti einen Polizisten und tritt auf die Bremse. Er öffnet die Beifahrertür und schreit den Polizisten an, einzusteigen: „Führe mich nach Ichilov“. Der Polizist, Pinchas Terem, räumt mit dem Megaphon Autos aus dem Weg.
21:52 Uhr
Der Cadillac fährt ins Krankenhaus ein, 10 Minuten nach den drei Schüssen. Der diensthabende Arzt in der Notaufnahme, Dr. Nir Cohen, erkennt die Schusswunden im Rücken, dreht Rabin auf den Bauch – und erkennt erst dann, dass es sich um den Premierminister handelt. Ärzte werden herbeigerufen, eine Krankenschwester ruft weitere herbei und der leitende Arzt im Gebäude, Dr. Mordechai Guttman, kommt angerannt. Plötzlich wird ein Puls festgestellt, Rabin lebt. Guttman eilt, um ihn zu operieren, und erwartet, den Warteraum voller Familienmitglieder, Sicherheitsleute und Mitarbeiter zu sehen. Aber da ist niemand.
21:53 Uhr
Leah Rabin sah die Schüsse von der Treppe aus, aber als sie auf dem Parkplatz ankam, war ihr Mann schon nicht mehr da. Der Sicherheitsbeamte Shai Glaser brachte sie schnell in Sicherheit, und da er die Rufe „Platzpatronen, Platzpatronen“ gehört hatte, sagte er ihr im Auto, auch um sie zu beruhigen: „Keine Sorge, das ist nicht echt“. Leah Rabin dachte, er fahre sie zu einer Party im Viertel Zahala im Norden von Tel Aviv zu Ehren von Avi Pazner, der zum Botschafter in Frankreich ernannt worden war – eine Veranstaltung, zu der das Paar nach der Kundgebung gehen wollte – aber Glaser brachte sie zum Hauptquartier des Shin Bet. Dort hörte sie Leute reden und sagen, dass zwei bei der Schießerei verletzt worden seien, einer leicht und der andere schwer.
Leah Rabin ruft ihre Tochter Dalia an und sagt ihr: „Dein Vater wurde durch Schüsse verletzt.“ Dalia hörte die Worte, konnte sie aber kaum fassen – und verstand nicht, was ihre Mutter im Shin-Bet-Hauptquartier tat. „Warum bist du nicht im Krankenhaus?“, sagte sie zu ihr. Leah legte auf und verlangte, nach Ichilov gebracht zu werden.
21:53 Uhr
Erster Bericht auf Reshet Bet über einen „Vorfall“ im Bereich des Platzes der Könige Israels. „Es ist unklar, was passiert ist, die ganze Gegend ist abgesperrt, alle Leute hier bezeugen, Schüsse gehört zu haben, als Rabin die Zeremonie verließ, hier sind Krankenwagen“, berichtet der Korrespondent Yaron Kanner.
21:59 Uhr
Der Pager von Dr. Gabi Barbash, dem Direktor von Ichilov, piept. Die Nachricht: Rufen Sie sofort das Krankenhaus an. Er telefoniert und schreit dann auf: „Sie haben auf Jitzchak geschossen“. Er rennt sofort die Treppe hinunter, und der Büroleiter des Premierministers, Eitan Haber – der ebenfalls im Haus in Zahala war – rennt ihm nach. Sie fahren in getrennten Autos, überqueren Kreuzungen bei Rot, und während der Fahrt ruft Aliza Goren, die Kommunikationsberaterin des Premierministers, Haber an. „Sie haben auf Jitzchak geschossen“, schreit sie, „ich gebe Ihnen Gabi“.
Gabi ist Generalinspektor Gabi Last, der Polizeichef des Bezirks Tel Aviv. Er erzählt Haber, was passiert ist, und vermutet, dass die Verletzung leicht ist und Rabin innerhalb von ein oder zwei Tagen in sein Büro zurückkehren wird. Haber telefoniert aus dem Auto mit dem US-Botschafter in Israel, Martin Indyk, und bittet ihn, sofort US-Präsident Bill Clinton zu informieren, und ruft auch den Büroleiter von König Hussein, dem König von Jordanien, an. Bei seiner Ankunft in Ichilov sieht er junge religiöse Männer tanzen, singen und rufen: „Sie haben Rabin getötet, sie haben Rabin getötet“.
22:01 Uhr
Auf Reshet Bet, direkt nach den Nachrichten, berichtet der Korrespondent Shimon Vilnai bereits: „Der Premierminister wurde angeschossen, und die Polizei hat einen jungen Mann aus Herzliya festgenommen. Die Pistole wurde beschlagnahmt und sichergestellt.“ Yoram Marziano, der politische Assistent von Shimon Peres, der sich in der Nähe von Rabin befand, beschreibt live: „Es gab drei Schüsse, und dann haben sie den Premierminister gepackt. Ich stand unter Schock.“
22:10 Uhr
Leah Rabin kommt in Ichilov an. Dr. Barbash empfängt sie am Eingang und begleitet sie in ein privates Zimmer neben den Operationssälen. Dort erfährt sie zum ersten Mal, dass ihr Ehemann, der Premierminister, von zwei Kugeln getroffen wurde, sein Zustand ernst ist und der Schütze kein Palästinenser, sondern ein Jude war. Nach und nach füllt sich der Raum mit Menschen, darunter Dalia Rabin und weitere Familienmitglieder, der Generaldirektor des Büros des Premierministers, Shimon Sheves, der Militärsekretär Yatom sowie Haber und Peres.
22:10 Uhr
Die Ausstrahlung von „Going Steady“, dem zweiten Film der „Eis am Stiel“-Reihe, auf Kanal 2 wird unterbrochen, und der Moderator einer Fußballzusammenfassung, Yoram Arbel, macht eine besondere Ankündigung aus den Telad-Studios: „Wir haben eine Meldung – vor etwa einer halben Stunde gab es einen Versuch, Premierminister Jitzchak Rabin anzugreifen. Es wurden drei Schüsse auf ihn abgefeuert, er wurde ins Ichilov-Krankenhaus gebracht, und sein Zustand ist uns zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Der Schütze wurde gefasst.“ Arbel wiederholt die Meldung und betont: „Wir haben keine weiteren Details.“ Trotz der dramatischen Ankündigung wird die Vorführung von „Eis am Stiel“ fortgesetzt.
22:23 Uhr
Auf Kanal 1 wird der Film „Crocodile Dundee 2“ unterbrochen, und es wird eine Sondersendung gestartet, die zunächst von Gilad Adin und später von Haim Yavin moderiert wird. Kanal 2 beginnt vier Minuten später mit seiner Sondersendung, zunächst mit einer Panne. „Ofer, sprich in mein Ohr“, ruft Guy Zohar.
22:30 Uhr
Die Details sind anfangs unklar – und unbegründete Gerüchte verbreiten sich schnell. Ayala Hasson berichtet auf Kanal 1, dass Rabins Zustand ernst sei, aber eine Augenzeugin sagt auf dem Platz voller Überzeugung in der Live-Übertragung beider Kanäle: „Rabin wurde nicht verletzt, er wurde nicht verletzt.“
22:40 Uhr
Im Operationssaal Nummer 9 in Ichilov schließen sich weitere Ärzte Dr. Mordechai Guttman an, darunter Dr. Yosef Klausner, Leiter der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses. 40 medizinische Mitarbeiter umgeben Rabin und stellen fest, dass die Kugeln, die ihn trafen, „Hohlladungsgeschosse“ waren – die massive innere Blutungen verursachten und im Körper stecken blieben. Mehr als zwanzig Blutkonserven werden in den Körper des Premierministers gepumpt, und sein Zustand scheint sich zu stabilisieren. Barbash verlässt den Raum, um Leah zu berichten, dass die Ärzte nun etwas Hoffnung haben – aber diese Hoffnung schwindet schnell, und Rabins Zustand verschlechtert sich wieder.
23:02 Uhr
Im Ichilov-Krankenhaus wird der Tod von Premierminister Jitzchak Rabin festgestellt.
23:05 Uhr
Einige der Chirurgen, Traumaexperten, die schon viele Gräuel gesehen haben, vergießen eine Träne. Barbash nimmt einige Ärzte mit, um Leah Rabin und dem Rest der Familie die Nachricht zu überbringen. In der Zwischenzeit versammeln sich Menschenmassen vor dem Krankenhaus, darunter Teilnehmer der Kundgebung, die direkt vom Platz der Könige Israels nach Ichilov gekommen sind.
23:12 Uhr
Sky News meldet den Tod des Premierministers. In den israelischen Medien wird sein Zustand weiterhin als „sehr ernst“ bezeichnet.
23:14 Uhr
Der Büroleiter des Premierministers, Eitan Haber, tritt allein aus dem Krankenhaus, stellt sich vor die Fernsehkameras, bittet um Ruhe und spricht die Worte, die auch 30 Jahre später noch Gänsehaut verursachen: „Die Regierung Israels gibt mit Bestürzung, in großer Trauer und tiefem Kummer den Tod von Premierminister und Verteidigungsminister Jitzchak Rabin bekannt, der heute Abend in Tel Aviv von einem Attentäter ermordet wurde.“
23:15 Uhr
Die Mitteilung von Eitan Haber wurde nicht live in den Fernsehkanälen übertragen. Aber Sekunden später wurde den Zuschauern die Hiobsbotschaft überbracht – der Premierminister wurde ermordet. Auf Kanal 2 blickte Yaakov Eilon nach den Worten von Aharale Barnea vor dem Ichilov-Krankenhaus auf seine Uhr und sprach die unfassbaren Worte: „Es ist jetzt 23:15 Uhr. Premierminister Jitzchak Rabin ist verstorben.“ Auf Kanal 1 verlas Haim Yavin die offizielle Mitteilung und fügte hinzu: „Jetzt müssen wir uns sammeln.“ 30 Jahre sind vergangen, und wir müssen immer noch die Scherben dieses Abends aufsammeln.
Die hier dargelegten detaillierten Informationen basieren auf dem Urteil gegen Jigal Amir, dem Bericht der Shamgar-Kommission, den Berichten in „Jediot Achronot“, Gesprächen mit Organisatoren und Künstlern und dem Buch „Killing a King“ von Dan Ephron.



