Korn, Wein und ein Befehl: Josefs Echo in Kana
Warum spricht Maria wie ein Pharao? Ein einziger Satz in Kana enthüllt Jesus als den neuen Josef. Eine spannende Parallele zwischen Kornkammern und Weinkrügen.
Es gibt Sätze in der Bibel, die wie Brücken über Jahrhunderte hinweg gespannt sind. Sie verbinden das Alte mit dem Neuen Testament und zeigen so, dass die Geschichte Gottes mit den Menschen kein bloßes Aneinanderreihen von Zufällen ist, sondern ein meisterhaft komponiertes Werk. Einer dieser verborgenen Schlüssel liegt in einem einfachen Befehl, der genau zweimal in der Schrift ertönt – einmal im Palast des mächtigsten Herrschers der antiken Welt und einmal auf einer prächtigen Dorfhochzeit in Galiläa.
Der Satz lautet: „Was er euch sagt, das sollt ihr tun.“
Um die Tiefe von Jesu erstem Wunder auf der Hochzeit zu Kana (Johannes 2) zu verstehen, blicken wir zurück in die Geschichte von Josef in Ägypten im Wochenabschnitt Mikez.
Der doppelte Befehl: Eine göttliche Regieanweisung
In Genesis 41 herrscht eine tödliche Hungersnot. Das Volk schreit zum Pharao um Brot. Der Pharao, der zwar die Krone trägt, aber die Rettung delegiert hat, weist auf Josef und spricht: „Geht zu Josef! Was er euch sagt, das sollt ihr tun“ (1. Mose 41,55).
Im Johannesevangelium, Kapitel 2, herrscht keine Hungersnot, aber eine gesellschaftliche Katastrophe: Es herrscht Mangel an Wein. Maria, die Mutter Jesu, wendet sich an die Diener. Sie nutzt exakt dieselben Worte wie der Pharao, eine wörtliche Zitation der hebräischen Überlieferung: „Was er euch sagt, das sollt ihr tun“ (Johannes 2,5).
Dies ist kein Zufall. Johannes, der Evangelist, zeigt uns hier die „hebräische Wahrheit“ hinter der Gestalt Jesu. Indem Maria diese Worte spricht, inszeniert sie Jesus als einen neuen Josef.
Von der Versorgung zum Überfluss
Beide Geschichten handeln von einem Mangel, der durch eine einzige Person behoben wird. Josef ist der Verwalter des Kornes. Er hat die Speicher Ägyptens gefüllt, um das physische Überleben der Welt zu sichern. Er gibt Brot, damit die Menschen nicht sterben.
Jesus in Kana geht einen etwas anderen, aber vergleichbaren Schritt. Er verwandelt Wasser in Wein – und zwar nicht in kleinen Mengen, sondern in etwa 600 Liter besten Weines. Josef sichert das Überleben (Brot), Jesus bringt die Fülle und die Freude (Wein). Später wird Jesus sich selbst als das „Brot des Lebens“ (Johannes 6) offenbaren und damit beide Bilder vereinen: Er ist derjenige, der den Hunger stillt und festliche messianische Freude im Überfluss ausschenkt. Die Symbolik ist deutlich: Wo der menschliche Vorrat endet, beginnt Gottes überfließende Versorgung.
Autorität und Verkennung: Das Muster des verborgenen Königs
Besonders faszinierend ist die Parallele der Vollmacht. Josef erhielt vom Pharao den Siegelring; er regierte praktisch anstelle des Königs. In Kana sehen wir, wie Jesus – obwohl seine „Stunde noch nicht gekommen“ war – mit göttlicher Vollmacht handelt. Die Materie gehorcht ihm, wie Ägypten Josef gehorchte.
Darüber hinaus gibt es eine tragische Note, die beide Erzählungen verbindet: das Motiv der Verkennung.
In der Parascha Mikez lesen wir, wie Josefs Brüder vor ihm stehen, um Korn zu kaufen, ihn aber nicht erkennen. Er ist für sie ein fremder ägyptischer Herrscher, verhüllt in Prunk und fremder Sprache. Josef nutzt diese Unkenntnis, um sie zu prüfen, um wahre Reue in ihren Herzen zu wecken, bevor er sich offenbart.
Auch Jesus ist in der Welt der „Verkannte“. Er ist mitten unter den Menschen, wirkt Zeichen, aber die Welt „erkannte ihn nicht“ (Johannes 1,10). Selbst der Speiermeister in Kana weiß nicht, woher der Wein kommt; nur die Diener wissen es. Wie Josef seine Brüder durch Prüfungen führte, so nutzt Jesus seine Zeichen als Prüfsteine des Glaubens. Er offenbart seine Herrlichkeit nur denen, die bereit sind, zu sehen – so wie Josef sich erst offenbarte, als das Herz seiner Brüder bereit war.
Der Weg zum Wunder ist Vertrauen
Die Verbindung zwischen Genesis und Johannes lehrt, dass Jesus als endzeitlicher Versorger dargestellt wird. Wie Josef ist er Zafnat-Paneach („Retter der Welt“).
Doch das Wunder – sei es das Korn in Ägypten oder der Wein in Kana – wird nur durch eine Bedingung freigesetzt: Vertrauen. Das Wunder geschieht in dem Moment, als die Diener das tun, was unlogisch erschien: Wasser schöpfen, wo Wein benötigt wird.
Die Botschaft wiederholt sich durch Jahrhunderte hindurch bis zu uns: Wenn wir Mangel leiden, wenn unsere eigenen Ressourcen am Ende sind, gilt der alte Rat des Pharao und der Rat der Mutter Maria gleichermaßen. Wir müssen nicht alles verstehen, aber wir müssen dem vertrauen, der die Vollmacht hat:
„Was er euch sagt, das sollt ihr tun.“


