ahavta+ || leidgerieben und qualgeschliffen
So nennt Jehuda Amichai die Juden. Mit ihm und Edith Kiss, Claude Lanzmann, Rabbi Jonathan Sacks und Johannes Gerloff schreibe ich zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar.
Schalom,
der Holocaust-Gedenktag erinnert an die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945. Vor 78 Jahren machten sowjetische Truppen dem Töten ein Ende. Bis dahin waren etwa 1,1 Millionen Menschen unter der Herrschaft des nationalsozialistischen Deutschen Reiches ermordet worden. In der weit überwiegenden Zahl waren es Juden, oder Menschen, die von Nationalsozialisten als solche klassifiziert wurden.
In seinem Gedicht „Die Juden“ reflektiert Jehuda Amichai, geboren als Ludwig Pfeuffer in Würzburg, über sein Volk. Auszüge daraus liest du heute.
Noch heute habe ich die Bilder von Bulldozern, die leblose Körper in eine Grube schieben, vor Augen. Meine Schulklasse, es muss wohl die neunte gewesen sein, wurde ohne Vorbereitung auf das Kommende in den Filmsaal geleitet, wo wir die Dokumentation „Nacht und Nebel“ von Alain Resnais (1956, 32 Minuten) sahen. Anschließend gab es keine Verarbeitung des Gesehenen. So ist mir meine erste Begegnung mit der deutschen Judenvernichtung erinnerlich.
Claude Lanzmann ist 1985 einen anderen filmischen Weg gegangen. „Shoah“ hat eine Laufzeit von neuneinhalb Stunden und verzichtet völlig auf Archivbilder aus den Konzentrationslagern sowie auf Kommentar und Filmmusik. 38 Jahre später, nach dem Tod fast aller Zeugen, ist es an der Zeit, die Aussagen der Überlebenden nochmals zu hören.
Wer Deportation und Lager überlebt hatte, war gleichwohl für immer gezeichnet, nicht nur mit der tätowierten Nummer auf dem Arm. Wie Edith Kiss, die 1966 in Paris Selbstmord beging. Da ihr wie tausenden die besten Jahre des Menschenlebens geraubt worden waren, blieb Edith Kiss trotz Kreativität und Meisterschaft nahezu unbekannt. Gouachen ihres Zyklus „Déportation”, der 1945 unmittelbar nach ihrer Rückkehr nach Budapest entstand, begleiten die heutige Ausgabe von ahavta+.
„Das schiere Ausmaß des Holocausts kann uns manchmal überwältigen“, sagte Rabbiner Jonathan Sacks am Holocaust-Gedenktag vor zehn Jahren. „Jeden Tag wurden durchschnittlich dreitausend Juden ermordet, fünfeinhalb Jahre lang. Wenn wir für jedes dieser Opfer eine Schweigeminute einlegen würden, würde die Stille mehr als elf Jahre dauern.“ Aber wir Nachgeborene dürfen nicht schweigen, sondern „müssen daran arbeiten, Brücken über den Abgrund zu bauen“. Lies, wie Rabbi Sacks das meint.
Auch Johannes Gerloff in Israel arbeitet daran. Ich zeige dir, was er mit seiner provozierenden Ausdrucksweise von der „Gnade des Holocaust“ meint.
Ich wünsche dir a gut woch sowie einen gesegneten Sonntag
dein Ricklef Münnich
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