ahavta+ || Redet Wahrheit!
„All deine Gebote sind Wahrheit; sie aber verfolgen mich mit Lügen; hilf mir!“ (Psalm 119,86) || „Das ist’s aber, was ihr tun sollt: Redet einer mit dem andern Wahrheit“ (Sacharja 8,16).
Eine Leserin schrieb mir vor einer Woche:
Von der Gesamtsituation um Israel bin ich in tiefer Traurigkeit. Es ist ein Hasshöhepunkt, eine wilde Hassorgie in der Welt, die nur biblische Vergleiche zulässt.
Ich empfinde es ebenso. In einer waghalsigen gemeinsamen Aktion der Anti-Terror-Einheit der israelischen Polizei, des Schin Bet und der israelischen Verteidigungsarmee konnten gestern vier Menschen lebend gerettet werden, die am 7. Oktober von einem Open-Air-Festival in den Gazastreifen entführt worden waren. Josep Borrell ist Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsident der Europäischen Kommission – jedenfalls bis zur (heute in Deutschland stattfindenden) Wahl eines neuen Europaparlaments, die vielleicht eine Veränderung nach sich ziehen wird. Auf die Geiselbefreiung reagierte Borrell mit zwei zusammen abgegebenen Äußerungen auf X (früher Twitter):
Noa Argamani, Almog Meir Jan, Andrey Kozlov und Shlomi Ziv sind heute frei und in Sicherheit. Wir teilen die Erleichterung ihrer Familien und fordern die Freilassung aller übrigen Geiseln.
Die Berichte aus dem Gaza-Streifen über ein weiteres Massaker an Zivilisten sind entsetzlich. Wir verurteilen dies auf das Schärfste. Das Blutbad muss sofort enden.
Die Rettung der Geiseln wird aus höchstem europäischen Munde als Blutbad an Zivilisten in Gaza bezeichnet – ungeachtet dessen, dass die Entführten in der Hand von Zivilisten gefangen gehalten wurden. Besser also, die gewaltsam Entführten wären nicht befreit worden? Tatsächlich offenbaren sich hier Lügenreden geradezu biblischen Ausmaßes. In Psalm 12 heißt es:
Hilf, HERR, denn dahin ist der Getreue, verschwunden sind die Getreuen unter den Menschen. Nichtiges reden sie untereinander, mit glatter Zunge, mit zwiespältigem Herzen reden sie. Der HERR vertilge alle falschen Lippen, die Zunge, die vermessen redet, die da sagen: Mit unserer Zunge sind wir mächtig, unser Mund spricht für uns, wer kann Herr sein über uns.
Die Psalmworte deuten es an, was der Midrasch Sifre Bamidbar ausführt:
Jeder, der Israel hasst, ist so, als wenn er den hasst, der da sprach, und es ward die Welt. Jeder, der Israel hilft, ist so, als wenn er dem hilft, der da sprach, und es ward die Welt.
Dienstag Abend beginnen Jüdinnen und Juden Schawuot, das Wochenfest, um die Gabe der Tora – der Worte und Gebote des HERRn – an sein Volk Israel zu feiern. Der genannte 12. Psalm sagt über diese Worte:
Die Worte des HERRN sind lautere Worte, Silber, im Schmelztiegel geläutert, von Erde gereinigt siebenfach. Du, HERR, wirst sie halten, wirst ihn für immer bewahren vor dieser Generation, auch wenn ringsum Frevler sind und Niedertracht sich erhebt unter den Menschen.
Tora als Wort der Wahrheit bewahrt Israel auch in der gegenwärtigen Zeit. Das sind Zuversicht und Hoffnung, die das Wochenfest des Jahres 5784 bedeutsam machen.
Um Lüge und Wahrheit also geht es in der heutigen Ausgabe von ahavta+.
Für erstere stehen neue Einträge im palästinensischen Wörterbuch, die Rabbiner Dr. Walter Rothschild vornimmt.
Für Worte der Wahrheit steht die Rede, die die Trägerin des Nobelpreises für Literatur Herta Müller am 25. Mai in Stockholm gehalten hatte. Darin deckt sie die ahistorischen und zynischen Umkehrungen der Täter-Opfer-Relation zwischen Hamas und Israel auf. Ihre Lebenserfahrungen im kommunistischen Rumänien haben Herta Müller gelehrt: Ich weiß, dass die Wörter das, was sie sagen, auch tun.
Es folgen noch Gedanken zum Johannesevangelium. Das dort verzeichnete Wort Jesu Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich (14,6) diente immer wieder der Begründung eines christlich-exklusiven Wahrheitsanspruches. Ein Lobspruch aus dem jüdischen Morgengebet (Kein Gott ist außer dir) zeigt freilich die gemeinsame Wahrheitswelt von Christen und Juden.
Eine gute Woche beginnend mit einem schönen Sonntag wünscht dir – sowie schon jetzt Chag Schawuot sameach den mitlesenden Jüdinnen und Juden – wünscht
Ricklef Münnich
Mit einem 7-tägigen kostenlosen Probeabonnement weiterlesen
Abonnieren Sie ahavta - Begegnungen, um diesen Post weiterzulesen und Sie erhalten 7 Tage kostenlosen Zugang zum gesamten Post-Archiv.