Vor zwei Wochen, am 6. Juli, starb in Israel Jizchak Jifat im Alter von 81 Jahren. Der promovierte Gynäkologe aus Kirjat Malachi wurde als 24-jähriger Reservist des 66. Bataillons der 55. Fallschirmjägerbrigade weltbekannt, als der Fotograf David Rubinger ihn am 7. Juni 1967 vor der Westmauer in der Altstadt Jerusalems zusammen mit Zion Karasenti und Chaim Oschri zu seiner Linken und Rechten abgelichtet hatte.
Der Raum zwischen der Mauer und den damals davor stehenden Gebäuden war sehr eng, also legte sich Rubinger hin, um ein Foto von der Mauer selbst zu machen, als die Fallschirmjäger vorbeikamen und er mehrere Aufnahmen von ihnen machte. Das Bild mit dem jungen Jifat wurde zu einer Ikone, nicht nur in Israel. Der Oberste Gerichtshof Israels erklärte 2001 durch seine Richterin Mischael Cheschin, das Foto sei „Eigentum der gesamten Nation“ geworden.
Ein weiterer Todestag bewegte zuletzt die Herzen der Menschen in Israel. Die Dichterin, Sängerin und Liedermacherin Naomi Schemer starb vor 20 Jahren, doch „ihr Werk lebt weiter, und zwar nicht nur in ihrem Heimatland, sondern auch weltweit“, wie Krista Gerloff in einem schönen und lesenswerten Beitrag über „Naomi Schemer: eine Dichterin, die das Land liebte“ feststellt: So habe „zum Beispiel im Februar dieses Jahres der in Amerika lebende iranische Sänger Dara ein breites Publikum mit seiner Interpretation ihres Liedes „Churschat haEukalyptus“ (Der Eukalyptushain) überrascht.“
Naomi Schemers wohl berühmtestes Lied „Jeruschalajim schel sahaw“ erklang zum ersten Mal im Rahmen des israelischen Gesangsfestivals („Festival haSemer weHaPismon“) 1967 in Jerusalem. Zuvor plagten sie Zweifel über „Jerusalem von Gold“: „Wisst ihr noch, wie grau und wenig golden Jerusalem damals war; wie man überhaupt nicht erhaben über die Stadt reden konnte; wie weit sie von einem Paradies entfernt war? Ganz wie im Hohenlied in der Bibel: ‚…nicht wecken und nicht stören…‘ (Hoheslied 2,7). Ich wurde von Ehrfurcht ergriffen und fragte mich: ‚Aus Gold? Bist du dir sicher: Gold?‘ Und etwas in mir gab mir die Antwort: ,Ja natürlich, aus Gold!‘“
Drei Wochen nach dem Festival, im Sechstagekrieg, als die Altstadt mit der Westmauer wieder in jüdische Hände fiel, fügte die Dichterin unter diesem Eindruck ihrem Lied eine weitere Strophe hinzu:
„Wir kehrten zurück zu den Wasserquellen und zum Markt, das Schofarhorn ruft wieder auf dem Tempelberg in der Altstadt… Und zum Toten Meer gehen wir wieder durch Jericho.“
Ich erinnere hier an Jizchak Jifat und Naomi Schemer, weil der Internationale Gerichtshof in seinem vorgestern veröffentlichten Gutachten „Rechtliche Folgen aus der Politik und den Praktiken von Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten, einschliesslich Ost-Jerusalem“ das Rad der Geschichte zurückzudrehen empfiehlt. Der IGH stellt fest, dass die israelische Besetzung der palästinensischen Gebiete, einschliesslich des Westjordanlands, des Gazastreifens und Ostjerusalems, illegal ist. Der Vorwurf ist nicht neu. Wohl aber jetzt die Aufforderung, dass Israel schnellstmöglich fast eine halbe Million Juden aus dem Westjordanland und aus der Osthälfte Jerusalems evakuieren soll.
In einer ersten Bewertung des Gutachtens schreibt Nachum Kaplan:
„Die Klage gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof ist ein zynischer und bösartiger Trick der Palästinenser, um sich ihren Verpflichtungen aus den Osloer Verträgen der 1990er Jahre zu entziehen. Sie hoffen, dass ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs, nach dem Israel Judäa und Samaria illegal besetzt hält, Druck auf Israel ausüben wird, sich zurückzuziehen, idealerweise ohne dass die Palästinenser irgendeine ihrer Verpflichtungen aus den Osloer Verträgen erfüllen müssen.“
Kaplans Beitrag gebe ich dir heute in deutscher Übersetzung zur Lektüre. Er ist auch deshalb wichtig, weil er geschichtliche Entwicklungslinien von 1967 bis 2024 zieht. Zu diesen gehört zudem das von der Knesset am 30. Juli 1980 verabschiedete Jerusalemgesetz. Mit diesem werden beide Hälften und einige Umlandgemeinden zu einem Jerusalem zusammengefasst und die Stadt zur untrennbaren Hauptstadt Israels erklärt.
Auch wenn Jizchak Jifat und Naomi Schemer nicht mehr leben, Jizchaks Bild und Naomis Lied sind nicht mehr zu beseitigen.
Am 16. Juni 2024 nannte ich die geplante Auszeichnung von Meron Mendel und seiner Frau Saba-Nur Cheema mit der Buber-Rosenzweig-Medaille bei ahavta+ „eine Würdigung zur falschen Zeit“. Nun hat auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, in einem Brief von Ende Juni an die Mitglieder des Präsidiums des Deutschen Koordinierungsrates und an dessen Generalsekretär Jan-Ulrich Spies heftige innerjüdische Kritik an der Entscheidung geübt. Er wirft Mendel „umstrittene und zum Teil untragbare Positionierungen“ vor.
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und in der Süddeutschen Zeitung wurde dafür wiederum Josef Schuster heftig angegangen. Chajm Guski fasst in seinem Blog die Dinge treffend und trefflich zusammen: Leseempfehlung! Chajms Sicht – so der Name des Blogs – stellt wesentliche Fragen: „Könnte es sein, dass hier [mit der angekündigten Preisverleihung] Vertreter der Mehrheitsgesellschaft indirekt mitteilen wollen, mit wem sie es halten? Öffentliche Jüdinnen und Juden als Schachfiguren von Menschen, die sich nicht direkt äußern wollen und deshalb, je nach Lage, diesen oder jenen »Öffentlichen Juden« in den Vordergrund stellen?“
Der Wahrheit kommt Chajm mit der folgenden Frage und Antwort auf die Schliche:
Nach dem 7. Oktober hätte man Mut und Courage auszeichnen können, denn die Zeiten sind hart für Jüdinnen und Juden in Deutschland. Vielleicht hätte der Preis an den einflussreichen christlichen Theologen gehen sollen, der nach dem 7. Oktober in der deutschen Öffentlichkeit zur Empathie mit Jüdinnen und Juden aufgerufen hat? Ach so. Den oder die gab es ja einfach nicht.
Eine gute Woche wünscht dir
dein Ricklef Münnich
Mit einem 7-tägigen kostenlosen Probeabonnement weiterlesen
Abonnieren Sie ahavta - Begegnungen, um diesen Post weiterzulesen und Sie erhalten 7 Tage kostenlosen Zugang zum gesamten Post-Archiv.