ahavta+ || zurückgelassen, aber nicht allein
Mose und Jesus: Abschiede im Deuteronomium und im Johannesevangelium
Heute ist mein Beitrag kurz. Er ist nur ein Anfangen. In den kommenden Wochen werde ich dir Fortsetzungen anbieten.
Immer wieder versuche ich, bei auf den ersten Blick judenfeindlichen Überlieferungen im Christentum tiefer nachzuschauen, um gerade das Jüdische darin oder ihre Verbindung zum Judentum zu entdecken. So zuletzt beim hebräischen „Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaot“, das um das Kreuz Jesu auf der Karlsbrücke in Prag gelegt wurde.
Auch beim Johannesevangelium lohnt es, genauer hinzusehen. Aber die Sache ist kompliziert… Yuval Lapide danke ich dafür, dass er in der vergangenen Woche speziell für ahavta - Begegnungen über die Nähe des Abschieds, den Mose von seinem Volk im Deuteronomium genommen hat, zum Abschied Jesu von seiner Gemeinde im vierten Evangelium gesprochen hat. Ein ausgesprochen anregender Beitrag zu Zusammenhängen, die noch nie bedacht worden sind, ist dabei herausgekommen.
In zwei Wochen feiern Jüdinnen und Juden Rosch HaSchana, das Neujahrsfest. Da wird es Zeit, den Kalender für das jüdische Jahr 5784 zu bestellen. Schon, um für das wöchentliche Wort zum Schabbat bei ahavta - Begegnungen mit dem jeweiligen Wochenabschnitt der Tora vorbereitet zu sein.
Ich wünsche dir Schalom für einen schönen Sonntag und eine gute Woche
dein Ricklef Münnich
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Kalender für 5784
Zwei verschiedene Kalender möchte ich dir vorstellen. Der eine ist bewährt und erscheint seit vielen Jahrzehnten. Der traditioneller JNF-KKL Kalender beinhaltet alle jüdischen und weltlichen Feiertage, Ferien und Feste und reicht bis zum Ende des Kalenderjahres 2024. Ein ausführlicher Informationsteil enthält alle nur denkbaren Adressen von jüdischen Gemeinden, Rabbinern, jüdischen Museen und vielem mehr.
Im Kalendarium sind die Wochenabschnitte zwar nur mit ihren hebräischen Namen aufgeführt. Auf den Seiten 116–119 werden diese jedoch zusammen mit den Haftarot, den Prophetenlesungen, auch mit ihren Bibelstellen verzeichnet.
Bestellen kannst du den JNF-KKL Kalender hier für 18 EUR plus 1,50 EUR für den Versand.
Chajm Guski, der sowohl im Online- wie im Print-Bereich ungemein produktiv ist, hat ebenfalls einen Kalender 5784 herausgegeben. Er ist nicht weniger informativ, was die Angaben zu den Schabbatot und Festen betrifft. Vielmehr werden sogar die Haftarot mit den Unterschieden zwischen aschkenasischen und sefardischen Leseweisen notiert.
Der Luach (Kalender) kostet lediglich 7 EUR inklusive Versand. Bezugsquellen findest du hier. Wenn du bestellst, unterstützt du außerdem einen unabhängigen freien Autor.
Die Abschiedsrede des Mose im Deuteronomium
Das 5. Buch Mose wird auch Deuteronomium genannt, das „zweite Gesetz“. Denn eine erhebliche Menge der Gebote, die vor allem in den Kapitel 12 bis 26, angeordnet werden, sind sachlich auch zuvor schon in den Büchern Exodus bis Numeri behandelt worden. Das Deuteronomium ist sozusagen ihr erster Kommentar, aber noch innerhalb der Tora. Hebräisch heißt das Buch Dewarim, „Worte“ oder „Reden“ nach seinen ersten Worten: ele ha-dewarim, „Dies sind die Worte“.
Diese Bezeichnung ist durchaus auch inhaltlich sachgemäß. Denn das Buch umfasst den letzten Tag im Leben von Mose. Er verbringt diesen Tag mit Reden an das versammelte Volk Israel. Dieses bereitet sich vor auf die Überquerung des Jordan und die Einnahme des von Gott zugesagten Landes. Mose wird dieses selbst nicht betreten. Der Schluss des Buches beschreibt seinen Tod und sein Begräbnis durch Gott an unbekanntem Ort.
Mose verlässt sein Volk. Er hinterlässt ihm seine Gebote, die die Gebote des HERRn sind. „Kurzum, die Tora ist faktisch Ersatz für Mose selbst in seiner Eigenschaft als der höchste Vermittler des göttlichen Wortes an Israel.“1
Mose geht, aber seine Tora bleibt. Und – wie Yuval Lapide betont – es bleibt auch die Liebe, ahawa, zwischen dem HERRn und Israel. Nirgendwo sonst in den fünf Büchern Mose wird so klar gesagt, dass Gott sein Volk liebt: Nicht hat euch der Herr angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker — denn du bist das kleinste unter allen Völkern –, sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat (7,8–9). Und nirgendwo sonst wird so klar gesagt, dass Israel den HERRn lieben soll: Nun, Israel, was fordert der Herr, dein Gott, noch von dir, als dass du den Herrn, deinen Gott, fürchtest, dass du in allen seinen Wegen wandelst und ihn liebst und dem Herrn, deinem Gott, dienst von ganzem Herzen und von ganzer Seele (10,12).
Ahawa ist immer tätige Liebe, kein Gefühl – so hebt Yuval hervor –, und darum folgt aus der Liebesbeziehung zwischen Gott und seinem Volk die Liebe gegenüber anderen, die ihrer bedürfen: ER schafft Recht den Waisen und Witwen und hat die Fremdlinge lieb, dass er ihnen Speise und Kleider gibt. 19 Darum sollt ihr auch die Fremdlinge lieben; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland (10,18–19).
Die Abschiedsrede Jesu im Johannesevangelium
Das Abschiednehmen Jesu nimmt im vierten Evangelium einen außergewöhnlichen Raum ein. Es umfasst fünf Kapitel. Johannes 13–17 sind ein Höhepunkt des Evangeliums. In diesen Reden spricht Jesus zu seinen Schülern, bevor sein Leben beendet wird.
Das vierte Evangelium ist Ende des 1. Jahrhunderts aufgeschrieben worden. Die Gemeinde des Johannes ist ein Volk ohne Messias. Mit den Abschiedsreden Jesu reflektiert sie und gibt sich Zeugnis, warum das so ist und was ihr Messias ihr hinterlassen hat.
In seinen Abschiedsworten erklärt Jesus, weshalb er zum HERRn, seinem Vater gehen muss und was seiner Gemeinde, die er zurücklässt, gleichwohl bleibt. Dies ist die ahawa. Das ist die Liebe Gottes, die die Gemeinde in Jesus erkannt hat: Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben (3,16).
Die Liebe zu ihm bedeutet, seine Worte und sein Gebot zu halten: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen (14,23). Sein Wort und sein Gebot zu beobachten, vergewissert also die die Liebe Gottes: Er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt (16,27). Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen (17,26).
Das Gebot selbst ist im vierten Evangelium einfach und ein einziges: Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Schüler seid, wenn ihr Liebe untereinander habt (13,34–35).
Strukturelle Verwandtschaft: Mose und Jesus
Mose redet Tora. Seine Worte sind Gebote. Seine Gebote sind dewarim, Worte.
Jesus ist selbst Wort, Mensch gewordenes Wort Gottes. Sein Wort ist Gottes Wort, ist Tora.
Beide gehen und fort und hinterlassen ein Liebesband zwischen Gott und Volk Israel, zwischen Gott und Gemeinde des Messias Jesus.
Dieses Liebesband zeigt, dass es besteht und lebendig ist, im Tun der Liebe gegenüber anderen, die Liebe nötig haben.
Die Liebe bleibt, wenn die, die sie verkündet haben, nicht mehr da sind. Sie vergegenwärtig die Abwesenden – in der Tora und im Tun des Liebesgebots.
Und noch eins verbindet das Deuteronomium und das Johannesevangelium: Beides sind Texte, die mehr als gelesen vorgelesen und gehört werden wollen. Es sind „Hörbücher“.
Und nun höre, wie Yuval Lapide auf Mose im Deuteronomium und Jesus im Johannesevangelium hört und ihre Abschiedsreden versteht und auslegt.
S. Dean McBride Jr.: Art. Deuteronomium. In: Theologische Realenzyklopädie. Band 8, 1981, S. 531.