ahavta+ öffnet den Weg der Emuna
Die „Zehn Wege zu Gott“ sind ein 10-teiliger Lehrplan über Judentum und jüdische Identität, der auf traditionellen Quellen und den Lehren von Rabbiner Jonathan Sacks basiert. Er ist eine gebündelte Darstellung jüdischer Existenz – und mehr als das. Daher habe ich die Grundtexte für dich übersetzt.
Das Judentum ist ein ungewöhnlicher, scharfsinniger und zutiefst menschlicher Glaube, der die herkömmliche Weisheit aller Zeiten in Frage stellt. Glaube ist der Mut, den Abraham und Sarah bewiesen, als sie dem Ruf Gottes folgten und alles, was sie kannten, hinter sich ließen, um zu einem unbekannten Ziel zu reisen. Der Glaube hat mehr als hundert Generationen unserer Vorfahren dazu gebracht, diese Reise fortzusetzen, wohl wissend um die Gefahren, aber in der Überzeugung, dass es kein größeres Vorrecht gibt, als Teil dieser Reise zu sein. Der Glaube ist die Stimme, die sagt: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir“.
Der Glaube gab Juden in den dunklen Tagen der Verfolgung Halt. Er ließ sie nie die Hoffnung aufgeben, dass sie eines Tages nach Israel, nach Jerusalem und in die Freiheit zurückkehren würden. Juden hielten den Glauben lebendig und der Glaube hielt das jüdische Volk am Leben.
Glaube ist keine Gewissheit. Er ist der Mut, mit der Ungewissheit zu leben. Er bedeutet, nicht alle Antworten zu kennen. Oft ist er die Kraft, mit den Fragen zu leben. Er ist nicht das Gefühl der Unverwundbarkeit. Er ist das Wissen, dass wir ganz und gar verwundbar sind, aber dass wir gerade in unserer Verwundbarkeit Gott die Hand reichen und dadurch lernen, anderen die Hand zu reichen und ihre Ängste und Zweifel zu verstehen. Wir lernen zu teilen, und im Teilen entdecken wir den Weg zur Freiheit. Allein weil wir keine Götter sind, sind wir in der Lage, Gott zu entdecken.
Gott ist die persönliche Ebene der Existenz, das „Du“ unter dem „Es“, das „Sollen“ jenseits des „Ist“, das Selbst, das in Momenten der völligen Offenbarung zu sich selbst spricht. Wenn wir uns dem Universum öffnen, finden wir Gott, der uns die Hand reicht. In diesem Moment machen wir die lebensverändernde Entdeckung, dass wir, obwohl wir völlig unbedeutend erscheinen, äußerst bedeutsam sind, ein Splitter von Gottes Gegenwart in der Welt. Die Ewigkeit ist uns vorausgegangen, die Unendlichkeit wird nach uns kommen, und doch wissen wir, dass dieser Tag, dieser Augenblick, dieser Ort, dieser Umstand erfüllt ist vom Licht unendlicher Ausstrahlung, dessen Beweis allein die Tatsache ist, dass wir hier sind, um es zu erfahren.
Der Glaube ist der Ort, an dem sich Gott und der Mensch über den Abgrund der Unendlichkeit hinweg berühren. Emuna bedeutet Treue, Liebe als Treue. Die nächstliegende Entsprechung ist die Ehe: eine gegenseitige, in Liebe eingegangene Verpflichtung, die die Partner in Treue und Vertrauen aneinander bindet. Gott hat sich für uns entschieden, wir haben uns für Gott entschieden, und obwohl unsere Beziehung manchmal angespannt und schwierig war, ist das Band zwischen uns unzerstörbar.
Wissend werden wir erkannt. Spürend werden wir erspürt. Handelnd werden wir wahrgenommen. Lebend werden wir gelebt. Und wenn wir uns dem Dasein gegenüber sichtbar machen, dann strahlt auch unser Leben jene göttliche Gegenwart aus, die, indem sie das Leben feiert, denjenigen Leben schenkt, deren Leben wir berühren.
Der Glaube ist der Raum, den wir für Gott erschaffen.
Nur wenige jüdische Gemeinden übertrafen einst die Mainzer an Bedeutung und Tradition. Im Mittelalter war sie das wichtigste Zentrum der religiösen Lehre. Diese Bedeutung geht auf eine Reihe einflussreicher Rabbiner zurück, insbesondere auf Gerschom ben Juda (960 bis 1040), dessen Lehren und Rechtsentscheidungen das Judentum insgesamt beeinflussten. Seine Weisheit wurde als so groß erachtet, dass man ihm den Namen Meor haGeula, „Licht der Diaspora“, gab.
Manuel Herz, Architekt in Basel, hat mit seinem Entwurf die neue Synagoge in Mainz zum „Licht der Diaspora“ gemacht. Ein mutiger, ein konstruktiver Schritt, nicht an den 1938 zerstörten Vorgängerbau anzuknüpfen:
Hätte ich den Vorgängerbau aufgegriffen oder auf ihn verwiesen, hätte ich dadurch den Untergang der Jüdischen Gemeinde während des Naziregimes verkürzt oder verfälscht. Für mich war ausschlaggebend, dass die Stadt Mainz eine signifikante Rolle für das Judentum gespielt hat, insbesondere während des Mittelalters. Von Mainz ausgehend wurde das Judentum erneuert. Der Ablauf des Gottesdienstes, wie er teilweise auch noch heute in der jüdischen Welt abgehalten wird, geht maßgeblich auf Erneuerungen durch Mainzer Rabbiner zurück. Ich fand es viel wichtiger, mich auf den Beitrag, den das jüdische Mainz für das Judentum geleistet hat, zu beziehen als die Vernichtung durch die Nazis als Ausgangspunkt des Entwurfs zu wählen.
Hebräische Begriffe spielen auch sonst in dem Synagogenbau eine bedeutsame Rolle.
Davar – Wort, Sache
Das Judentum hat in seiner Geschichte nie eine starke Bautradition entwickelt. Es hat auch keine architektonischen Stile entwickelt, die, wie in anderen Religionen, versuchen, bestimmte Werte und Glaubenssätze in den gebauten Raum zu übertragen. Stattdessen könnte man die Schrift als Ersatz für die Raumproduktion im Judentum betrachten. Insbesondere der Talmud, der nach der Zerstörung des zweiten Tempels und dem Beginn der Diaspora geschrieben wurde, kann als Reaktion auf den Verlust Jerusalems als zentralem Ort des Judentums und als alternatives Raummodell betrachtet werden. Die Dimension des Architektonischen zieht sich durch den gesamten Talmud, vom Inhalt einzelner Kapitel über die Redaktionsmethode bis hin zu den Argumentations- und Debattentechniken der Rabbiner auf den Seiten. Auch auf der Ebene der einzelnen Wörter und Buchstaben kommt in den Schriften eine Objektqualität zum Ausdruck. Das hebräische Wort für „Wort“ (Davar) hat die zusätzlichen Bedeutungen von Ding oder Gegenstand. Diese Objektqualität der Schrift sowie das Konzept des Talmuds (der in der Stadt Mainz seinen zentralen Lernort gefunden hat) als Raumbegriff prägen die Gestaltung des jüdischen Gemeindezentrums von Mainz.
(Manuel Herz)
Keduscha – Heiligung, Heiligkeit
Da Hebräisch von rechts nach links gelesen wird, fängt das Wort, wenn man auf dem Platz vor der Synagoge steht, mit dem Buchstaben Kof an. Dieser Buchstabe Kof bildet den gewaltigen, in den Himmel ragenden Trichter, der mit einem Fenster von etwa zwölf auf zwölf Metern verschlossen ist. Sein Licht fällt im Betraum auf den erhöhten Tisch, Bima genannt, auf dem im Gottesdienst die Torarolle ausgerollt und gelesen wird.
(aus: Irina Wittmer, Zur neuen Mainzer Synagoge und zu ihren Menschen; hrsg. von der Jüdischen Gemeinde Mainz, 2021)
Als Schofar, als Widderhorn, versteht Manuel Herz selbst diesen „Trichter“:
…ein hornartiges Dach…, (das) das Licht genau in die Mitte des Raums bringt und genau auf die Stelle fällt, von der aus die Bibel gelesen wird. Das Horn verweist auf das „Schofar“ (Widderhorn), das, zurückgehend auf die verhinderte Opferung Isaaks durch seinen Vater Abraham, die Verbindung und das Vertrauen zwischen dem Menschen und dem Göttlichen symbolisiert.
Ein Foto vermag nicht die Kraft auszudrücken, die von dieser Synagoge – und damit von der Jüdischen Gemeinde Mainz ausgeht. Manuel Herz sagt: „Heute ist ein Gebäude schon nach zwei Wochen nicht mehr aktuell, weil es dann bereits in allen Blogs aufgetaucht ist. Wir glauben, ein Gebäude mit zwei oder drei Bildern erfasst zu haben und beurteilen zu können.“
Ich überlege, einen neuen Versuch einer Reise in die SchUM-Städte Speyer, Worms und Mainz zu starten. Um dich die Synagoge mit eigenen Augen sehen zu lassen und dich eintreten zu lassen. Ob du dabei sein würdest?
Die Würde einer bedeutenden jüdischen Gemeinde hat Manuel Herz der Stadt Mainz zurückgegeben. Tamar Dreifuss sagt von sich: „Jetzt sage ich mit Stolz, dass ich Jüdin bin.“ Sie hat sich diese Würde erkämpft. Und von ihrer Mutter „geerbt“. Tamars Mutter war eine Frau voller Emuna. Ihr verdankt Tamar das Überleben 1941–1945.
Die Mutter, Jetta Schapiro-Rosenzweig, hat die Geschichte dieses Überlebens auf Jiddisch in Israel niedergeschrieben. Tamar übersetzte das preisgekrönte Buch ins Deutsche.
Kurzgefasst erzählt Tamar Dreifuss ihre Lebensgeschichte: