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Israel und jüdisches Leben – und was sie für Christen bedeuten
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ahavta+ zwischen Karfreitag und Ostern

Ricklef Münnich
17.04.2022
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Die „Zehn Wege zu Gott“ sind ein 10-teiliger Lehrplan über Judentum und jüdische Identität, der auf traditionellen Quellen und den Lehren von Rabbiner Jonathan Sacks basiert. Er ist eine gebündelte Darstellung jüdischer Existenz – und mehr als das. Daher habe ich die Grundtexte für dich übersetzt.

New York 1909: Zwei Mädchen mit der Forderung DIE KINDERSKLAVEREI ABSCHAFFEN! in Jiddisch und Englisch
New York 1909: Zwei Mädchen mit der Forderung DIE KINDERSKLAVEREI ABSCHAFFEN! in Jiddisch und Englisch

Der Weg des Judentums ist partikular, aber das Anliegen des Judentums ist universal. Abraham wurde versprochen, dass „durch dich alle Geschlechter der Erde gesegnet werden“. Jesaja sagte, dass wir aufgerufen sind, Gottes „Zeugen“ zu sein. Unsere Botschaft ist nicht nur für uns selbst bestimmt.

Wie das? Wir versuchen nicht, andere zu bekehren. Wir glauben, dass die Gerechten aller Völker Anteil an der kommenden Welt haben. Aber wir wollen ein lebendiges Beispiel sein, ein Abglanz von Gottes Licht, eine Inspiration für andere, ihren eigenen Weg zu Gott zu finden. Wir glauben, dass dies die einzige Möglichkeit ist, der Tatsache gerecht zu werden, dass es nach Babel eine Welt mit vielen Kulturen und Zivilisationen gibt. Gott ist einer, wir sind viele, und wir müssen lernen, in Frieden miteinander zu leben. Deshalb versuchen wir nicht, anderen unseren Glauben aufzuzwingen. Die Wahrheit wird durch ihre Wirkung und nicht durch Macht vermittelt, durch Vorbild und nicht durch Gewalt oder Angst.

Andere haben dies an uns erkannt. Winston Churchill zum Beispiel sagte, dass das Abendland den Juden „ein System der Ethik verdankt, das, selbst wenn es völlig vom Übernatürlichen getrennt wäre, unvergleichlich das wertvollste Gut der Menschheit wäre, ja sogar mehr wert als die Früchte aller anderen Gelehrsamkeit und Weisheit zusammengenommen“.

In einer Zeit, in der wir das Wiederaufleben des Antisemitismus, des ältesten Hasses der Welt, erleben, ist es wichtig zu wissen, dass wir zwar Feinde haben, aber auch Freunde. Wir haben Kritiker, doch es gibt auch Menschen, die, ohne jüdisch werden zu wollen, sich vom jüdischen Leben inspirieren lassen. Ihnen, und nicht nur uns selbst, sind wir es schuldig, unserer Aufgabe treu zu bleiben: Gottes Botschafter auf Erden zu sein.

Jede Religion lebt von alten, heiligen Büchern. In den meisten von ihnen geht es wie bei uns Menschen zu: Neben viel Gutem und Schönem findet sich manches, was Schaden anrichtet, so zum Beispiel, wenn andere Menschen geschmäht und Dinge über sie behauptet werden, die nicht stimmen. Da die heiligen Schriften immer wieder gelesen und vorgelesen werden, werden die falschen Behauptungen über die Anderen stets von Neuem eingeprägt. Sie werden zur Richtschnur für uns und bestimmen mit, wie wir uns zu ihnen verhalten. 

Im zweiten Teil unserer Bibel gehört zu diesen falschen Behauptungen die Anschuldigung, die Juden, das Volk, aus dem Jesus stammt, hätten ihn umgebracht und dadurch schwere Schuld auf sich geladen. Oft haben wir Christen dies in unserer Geschichte zum Vorwand genommen, um die Juden zu schmähen, sie zu unterdrücken und zu vertreiben. Erst in jüngerer Zeit haben die Kirchen sich dazu bekannt, dass jene alte Anschuldigung falsch ist und dass sie ihre Lehre über die Juden deshalb von Grund auf ändern müssen. 

Auch die Juden haben auf alle mögliche Art und Weise versucht, sich gegen die falsche und bedrohliche Anschuldigung zu wehren. Zwei Beispiele dafür gefallen mir besonders gut. 

Das erste Beispiel habe ich von meinem Freund Sandy Ragins gehört, der lange Zeit Rabbiner in Los Angeles war. Darin wird die Verbissenheit, mit der Christen an der Anschuldigung festgehalten haben, durch den Satz auf die Schippe genommen: „Ich weiß nicht, ob Jesus gelebt hat; aber ich bin sicher, die Juden haben ihn umgebracht.“ 

Das zweite Beispiel, das jetzt mein Favorit ist, habe ich von dem Kollegen Doron Mendels aus Jerusalem. Sein Vater lebte einst in dem holländischen Ort Almelo, nicht weit von dem Nachbarort Hengelo. Jedes Jahr um Karfreitag herum, am Todestag Jesu, warfen die christlichen Kinder in Almelo den jüdischen vor: „Ihr habt unseren Jesus umgebracht!“ Und jedes Jahr versicherten die jüdischen Jungen schlagfertig: „Das waren wir nicht, das waren die Juden von Hengelo!“ 

Ich glaube, diese wunderbare Geschichte ersetzt einen ganzen klugen Vortrag über das Problem. Und wenn du deshalb später einmal auf dem Weg nach Amsterdam durch Almelo kommst, dann denke einen Augenblick an die pfiffigen Jungen von damals, denen wir diese Geschichte verdanken.

(…) Nach ein, zwei Tagen im Lutherischen Gästehaus im Ostteil Jerusalems 1965 kam ich wieder auf die Beine. So konnte ich das Alt­­stadt­programm mit den üblichen Stationen in Angriff nehmen. Der Tempelplatz mit der Omar- und der El-Aksa-Moschee war beeindruckend, ebenso der seitliche Blick aus einem Obergeschoss am Rande des Platzes auf die Klage­mauer. Sie war damals anders nicht einzusehen, da dicht vor ihr bereits die ersten Häuser standen.

Die Grabeskirche mit ihren eifersüchtig gehüteten Ni­schen und Plätzen und der leicht kitschigen Grabstätte des Meisters wirkten hinge­gen eher absto­ßend. Irgendwann begann ich auf Ent­deckungs­reise durch den weitläufigen Bau mit seinen Neben­ge­lassen zu gehen. Ich sah niemanden und wurde von nie­mandem gesehen, bis ich unverhofft auf einem der flachen Dächer der Gebäude landete. Dort reihte sich eine winzige Behausung an die andere, weiß gestrichen, mit kleinen grünen Türen und Fensterläden, alles aufs Sorgfältigste instandgehalten. Bärtige äthiopische Mönche aller Altersstufen warteten hier geduldig auf die zweite Ankunft des Herrn. Auch wenn wir uns nicht verständigen konnten, so waren sie doch einladend freundlich und ließen mich gern einen Blick in ihre Domizile werfen.

Heute werden die meisten verstorben sein, ohne dass ihre Sehnsucht sich erfüllt hätte. Aber sie haben gewusst, wozu sie da waren. Und das ist nichts Gerin­ges.

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