ahavta+ || Das jüdische Problem
»Wir sind doch alle Menschen« ist ein Satz, der in diesen finsteren Zeiten noch weniger Sinn ergibt als sonst. (Natan Sznaider)
1933 veröffentlichte Siegfried Kracauer in der Zeitschrift Cahiers Juifs pseudonym einen Artikel unter dem Titel Juden in Deutschland unter Hitler. Darin zitiert er Wolf Franck:
Die wirkliche Heimat des Ewigen Juden kann nur die ganze Welt sein, wie sie jedes Menschen Heimat sein muss. Wenn sich die menschliche Gesellschaft einmal über alle Unterschiede hinaus zu dieser Ordnung emanzipiert haben wird, dann und nur dann wird auch das jüdische Problem endgültig gelöst sein.
Hoffnung auf Erlösung aus der Besonderheit jüdischer Existenz kommt hier zum Ausdruck. Das Leid und das Leiden unter dieser, vornehmlich von außen aufgedrückten, Besonderheit steigerten sich nach 1933 ins Unermessliche. Auf ganz andere Weise, gleichsam umgekehrt, ereignet es sich heute. Nämlich durch Menschen und Vorstellungen, die eine Erlösung durch die Aufhebung aller Unterschiede vorwegnehmen wollen, also selbst verwirklichen wollen. Es gibt zu denken, dass es in allen Fällen und jetzt erneut die Juden sind, die als „Quertreiber“ identifiziert und angeklagt werden.
Zuvor jedoch noch eine Einladung: Heute um 17 Uhr kannst du wieder bei Sonntags in Jerusalem zusammen mit Johannes Gerloff zum Gespräch unter dem Feigenbaum sitzen.
Außerdem komme ich noch einmal zurück auf Papst Franziskus…
Schalom für Israel und für dich einen guten Sonntag wünscht
dein Ricklef Münnich
Das jüdische Problem von Papst Franziskus
Vor zwei Wochen berichtete ich über den Offenen Brief an Seine Heiligkeit, Papst Franziskus, und an die Gläubigen der katholischen Kirche, in welchem fast 400 Rabbiner und jüdische Lehrer die Kirche bitten, im Vertrauen auf das „starke Band der Freundschaft zwischen Juden und Katholiken“ als Leuchtfeuer moralischer und konzeptioneller Klarheit inmitten eines Ozeans von Desinformation, Verzerrung und Täuschung zu wirken… Dieser Brief hat bis heute keinerlei Reaktion hervorgerufen.
Inzwischen sagte der Papst hingegen öffentlich: Wir haben die Kriege hinter uns gelassen. Dies ist kein Krieg. Das ist Terrorismus. Jüdische Gruppen forderten Franziskus daraufhin auf, zu erläutern, ob er sagen wolle, dass Israel in Terrorismus verwickelt sei.
Der Herausgeber des katholischen Magazins Crux, John L. Allen Jr., schrieb am 26. November, es sei unmöglich, das wachsende jüdische Problem von Papst Franziskus zu ignorieren. Dieses sei durch den aktuellen Krieg in Gaza erneut in den Vordergrund gerückt. John Allen meint, es habe mit der instinktiven Sympathie zu tun, die der erste Papst der Geschichte aus einem Entwicklungsland für die palästinensische Sache empfindet. Als Zeichen für das Problem des Papstes in der Vergangenheit sieht er:
Auf seiner Reise ins Heilige Land im Jahr 2014 hielt Franziskus spontan an der Trennungsmauer in Bethlehem an, um unter einem Graffiti mit der Aufschrift "Free Palestine" zu beten.
Im Juni 2015 unterzeichnete der Vatikan erstmals einen Vertrag mit dem von ihm offiziell anerkannten „Staat Palästina“.
Der Papst habe das Gesetz „Auge um Auge“ unvorsichtigerweise und fälschlicherweise beschworen.
Franziskus habe im August 2021 gesagt, dass die jüdische Tora „kein Leben gibt“. Der Beitrag zitiert ihn: Diejenigen, die das Leben suchen, müssen auf die Verheißung und ihre Erfüllung in Christus schauen.
Das Resümee des Artikels:
Es ist nicht so, dass irgendjemand Franziskus verdächtigt, die theologischen Fortschritte im katholischen Verständnis seit Nostra Aetate von 1965, dem Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Beziehungen zum Judentum, abzulehnen. Es ist eher so, dass die Aneignung dieser Einsichten und ihre Umsetzung in seine Rhetorik und seine pastorale Agenda manchmal einfach keine Priorität zu haben scheinen.
Der Rat der italienischen Rabbinerkonferenz fragte in einer öffentlichen Erklärung vor zwei Wochen, was der jahrzehntelange jüdisch-katholische Dialog gebracht hat, wenn die Juden in einer Zeit der Not vom Papst keine Solidarität, sondern diplomatische Akrobatik, Balanceakte und eisige Äquidistanz, die zwar Distanz bedeutet, aber nicht fair ist, erhalten.
Mit einem 7-tägigen kostenlosen Probeabonnement weiterlesen
Abonnieren Sie ahavta - Begegnungen, um diesen Post weiterzulesen und Sie erhalten 7 Tage kostenlosen Zugang zum gesamten Post-Archiv.