der ahavta adventskalender • 12
Das 12. Tor im Warten auf das Fest der Geburt von Jeschua haMaschiach
Gerschom Scholem hielt Anfang der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Ascona einen Vortrag, der ebenso „klassisch” wurde wie er zum Widerspruch einlud: Zum Verständnis der messianischen Idee im Judentum1. Zu Beginn skizziert er die unterschiedlichen Vorstellungen von der Erlösung im Judentum und im Christentum:
Es ist ein völlig anderer Begriff von Erlösung, der die Haltung zum Messianismus im Judentum und Christentum bestimmt, und gerade, was dem einen als Ruhmestitel seines Verständnisses, als positive Errungenschaft seiner Botschaft erscheint, wird vom anderen am entschiedensten abgewertet und bestritten. Das Judentum hat, in allen seinen Formen und Gestaltungen, stets an einem Begriff von Erlösung festgehalten, der sie als einen Vorgang auffaßte, welcher sich in der Öffentlichkeit vollzieht, auf dem Schauplatz der Geschichte und im Medium der Gemeinschaft, kurz, der sich entscheidend in der Welt des Sichtbaren vollzieht und ohne solche Erscheinung im Sichtbaren nicht gedacht werden kann. Demgegenüber steht im Christentum eine Auffassung, welche die Erlösung als einen Vorgang im »geistlichen« Bereich und im Unsichtbaren ergreift, der sich in der Seele, in der Welt jedes einzelnen, abspielt, und der eine geheime Verwandlung bewirkt, der nichts Äußeres in der Welt entsprechen muß. Selbst die civitas dei des Augustin, die unter den Bedingungen der christlichen Dogmatik am weitestgehenden versucht hat, die jüdischen Kategorien der Erlösung im Interesse der Kirche zugleich beizubehalten und umzudeuten, ist eine Gemeinschaft der auf unbegreifliche Weise Erlösten innerhalb einer unerlösten Welt. Was dem einen unabdingbar am Ende der Geschichte und in derem äußersten Blickpunkt stand, stand dem anderen vielmehr im wahren Zentrum des historischen, freilich als »Heilsgeschichte« nunmehr sonderbar aufmontierten Prozesses. War die Kirche davon überzeugt, mit dieser Auffassung der Erlösung einen äußerlichen, ja ans Materielle gebundenen Begriff überwunden und ihm einen neuen Begriff von höherer Dignität gegenübergestellt zu haben, so war es gerade diese Überzeugung, die von jeher dem Judentum als alles andere als ein Fortschritt erschien. Die Umdeutung der prophetischen Verheißungen der Bibel auf einen Bereich der Innerlichkeit, von dem alles an diesen Verkündigungen soweit abzuliegen schien wie möglich, erschien den religiösen Denkern des Judentums stets als eine illegitime Vorwegnahme von etwas, das im besten Falle als die Innenseite eines sich entscheidend im Äußeren vollziehenden Vorgangs in Erscheinung treten konnte, nie aber ohne diesen Vorgang selbst. Was dem Christen als tiefere Auffassung eines Äußerlichen erschien, das erschien dem Juden als dessen Liquidation und als eine Flucht, die sich der Bewährung des messianischen Anspruchs innerhalb seiner realsten Kategorien unter Bemühung einer nicht existierenden reinen Innerlichkeit zu entziehen suchte.
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Veröffentlicht in: Gerschom Scholem, Über einige Grundbegriffe des Judentums, Frankfurt 1970, S. 121–167.