ahavta+ || Ein Antisemit im Kanzleramt?
Emil Nolde – ein künstlerisches Werk und sein Schöpfer
Vor zehn Tagen besuchte ich das von Emil Nolde so benannte Seebüll. Der fast 60-jährige Maler und seine Frau Ada errichteten dort 1927–28 ihr Wohn- und Arbeitshaus, erweiterten es 1937–38 um einen Bildersaal.
Mit seinen gradlinigen Formen erinnert das Gebäude an die Bauhaus-Architektur der 1920er-Jahre. Nolde hat den architektonischen Kontrast zu den reetgedeckten Friesenhöfen in der Umgebung ganz bewusst gewählt: Der Rotklinkerbau mit den schmalen Fenstern und dem flachen Dach steht auf einer Warft und erhebt sich selbstbewusst aus der flachen Landschaft.1
In der Ausstellung2 hörte ich einer Besuchergruppe zu, in der etwas lautstark darüber debattiert wurde, ob dort rassistische Bilder gezeigt würden. Die Befürworterin und Kritikerin der Ausstellung verwies vor allem auf das Gemälde Papuafamilie von 1914. Die Noldes waren kurz vor dem 1. Weltkrieg inoffizielle Teilnehmer der Medizinisch-demographischen Deutsch-Neuguinea-Expedition. Im damaligen deutschen Schutzgebiet und nach der Rückkehr entstanden zahlreiche Darstellungen der indigenen Bevölkerung. Die Porträts und Aquarelle, die Emil Nolde anfertigte, sind voller Bewunderung für das, was er als eine reine, natürliche Lebensweise zu sehen scheint. Wie viele seiner Zeitgenossen war er der Ansicht, mit einer Urstufe der Menschheit konfrontiert zu sein, sagt Birgitta Coers, Direktorin des Kasseler documenta archivs.
Heute würde niemand mehr mit einem solchen Bild berühmt werden können, geschweige denn jemals ausgestellt werden. Die Debatte um kulturelle Aneignung und Rassismus des weißen Mannes hat noch immer volle Fahrt. Zumeist wird sie oberflächlich, plakativ und widersprüchlich geführt.
Um wieviel komplizierter die Dinge sind, möchte ich heute mit dir an der Frage des Verhältnisses der Kunst Emil Noldes zu seinen antisemitischen und nationalsozialistischen Einstellungen diskutieren. Ich freue mich, wenn du die Kommentarfunktion für deine eigene Meinung nutzt.
Ich wünsche dir Schalom für einen schönen Sonntag und eine gute Woche
dein Ricklef Münnich
2019: Nolde wird im Kanzleramt abgehängt
Angela Merkel mag (oder mochte?) Emil Noldes Bilder – wie schon vor ihr Bundeskanzler Helmut Schmidt, der ihn sogar aktiv propagierte. Als sie 2005 zum ersten Mal Bundeskanzlerin wurde, wählte sie ihn aus, um den Stürzenden Adler von Georg Baselitz zu ersetzen, der hinter dem Schreibtisch von Gerhard Schröder hing. Nolde schien eine sichere Wahl zu sein: weniger protzig als Baselitz, typisch Merkel, bodenständig, beinahe ein wenig langweilig, jedenfalls in den beiden ausgewählten Bildern.
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