ahavta+ || verspottet, verhöhnt und bespuckt
Gibt es deutsche Israelfeindschaft innerhalb Israels? Äußerungen des neuen Abtes der Jerusalemer Dormitio machen mehr als nachdenklich.
Der Gottesknecht im Jesaja-Buch des Alten Testaments erlebte als Reaktion auf seine Botschaft Schmach und Schande. In Kapitel 50,6 klagt er:
Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel.
Sein Vertrauen trägt ihn (Vers 7):
Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden.
Im Neuen Testament haben die Evangelien den Knecht Gottes vor Augen, wenn Jesus zum dritten Mal seinen Leidensweg ankündigt:
Nachdem er die Zwölf beiseite genommen hatte, sagte er zu ihnen: „Siehe!, wir steigen hinauf nach Jerusalem, dann wird alles vollendet werden, was durch die Propheten geschrieben steht über den Menschensohn; denn er wird den Völkern ausgeliefert und er wird verspottet und verhöhnt und bespuckt werden.“
Und so erlebt es Jesus schließlich in Jerusalem. Matthäus schreibt Kapitel 26,67f.:
Danach spuckten sie in sein Gesicht und schikanierten ihn, manche ohrfeigten ihn und sagten: „Weissage uns, Messias, wer ist es, der dich geschlagen hat?“
Im Glauben an den auferweckten Christus erfuhren dessen Schülerinnen und Schüler zu allen Zeiten von Paulus bis Dietrich Bonhoeffer, dass Christus-Nachfolge bedeuten kann, verspottet und verhöhnt und bespuckt zu werden. Deshalb sollte ein Christ nicht unbedingt eine große Sache daraus machen.
Das aber hat Nikodemus Schnabel, der am Pfingstsonntag zum Abt der Dormitio-Abtei der Benediktiner auf dem Jerusalemer Zionsberg geweiht wurde, getan. Deutsche Zeitungen haben das mit fetten Überschriften weiter vergrößert: Ich werde praktisch täglich angespuckt1 und Gott, steh Jerusalem bei2.
Schauen wir uns die Klage von Abt Nikodemus näher an und stellen sie in einen weiteren Horizont!
Ich wünsche dir einen schönen Sonntag und eine gute Woche
dein Ricklef Münnich
Eine „No-go-Area“ für Christen in Jerusalem?
In den zurückliegenden Jahren wurde in deutschen Medien darüber diskutiert, ob Juden in Deutschland No-Go-Areas erleben: In deutschen Städten gibt es Gegenden, die man als Jude nicht betreten sollte, stellte Linda Rachel Sabiers fest. Als Weckruf verstand Rabbiner Daniel Alter bereits 2013 seine Beobachtung: Es gibt in der Bundeshauptstadt No-go-Areas für öffentlich bekennende Juden. Ein Jahr zuvor war er auf offener Straße im bürgerlichen Stadtteil Schöneberg angegriffen und verletzt worden.
Im Mai und Juni 2018 hatte die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) 16.395 Juden aus 12 europäischen Ländern, darunter auch über 1000 aus Deutschland befragt. Die BZ fasste damals das Ergebnis zusammen und kommentierte:
Erschreckend: In keinem Land haben so viele Juden antisemitische Belästigungen erlebt wie in Deutschland. 41 Prozent gaben an, im vergangenen Jahr eine antisemitische Erfahrung gemacht zu haben, 52 Prozent in den vergangenen fünf Jahren – beides weit über dem EU-Schnitt (28 Prozent und 39 Prozent).
Die Juden ziehen ihre Lehren: 75 Prozent der deutschen Befragten verzichten – manchmal, häufig oder immer – auf das Tragen jüdischer Symbole in der Öffentlichkeit. 46 Prozent der Juden in Deutschland vermeiden es, gewisse Gegenden zu betreten. Im Klartext heißt das: Es gibt „No-go-Areas“ für Juden.
Für das Jahr 2019 wurden die folgenden Fälle dokumentiert, in denen Juden im deutschen öffentlichen Raum angespuckt worden sind (Wie groß mag die Dunkelziffer von Vorkommnissen sein, die von den Opfern nicht bekannt gemacht wurden?)
7. April, Berlin: Ein Kneipenwirt beleidigt zwei Gäste antisemitisch, bespuckt einen von ihnen und zeigt den Hitlergruß.
17. Juni, Berlin: Ein Unbekannter beleidigt und bespuckt in Prenzlauer-Berg einen jungen Mann, der eine Kippa trägt.
17. Juni, Berlin: Ein Mann beleidigt und bespuckt eine jüdische Mutter und ihren Sohn auf einer Straße in Pankow.
20. Juni, Hamburg: Ein Mann bedroht und bespuckt in Hamburg zwei Vertreter der jüdischen Gemeinde vor dem Rathaus.
27. Juli, Potsdam: Ein junger Mann bespuckt am Postsdamer Hauptbahnhof einen Kippaträger und beleidigt ihn antisemitisch.
27. Juli, Berlin: Zwei Männer beschimpfen und bespucken in Wilmersdorf einen Rabbiner nach einem Gottesdienst auf der Straße.
3. August, München: Zwei Personen beleidigen und bespucken einen Rabbiner und seine Söhne vor einer Synagoge.
Aus einer viel längeren Liste sind dies nur die Fälle öffentlichen Bespuckens.
Solche Judenfeindschaft in Deutschland ist Nikodemus Schnabel zweifellos bekannt. Denn in den genannten Monaten war er als Berater in dem kürzlich von Außenministerin Annalena Baerbock aufgelösten Referat „Religion und Außenpolitik“ im Auswärtigen Amt in Berlin tätig.
Was treibt den Deutschen Nikodemus Schnabel an, wenn er im Februar 2023 den Vatican News zu Protokoll gibt:
„Es geht nicht mehr darum, ob ich angespuckt werde, sondern wie oft am Tag“, so der Ordensmann. Auch das angerempelt und beschimpft werden habe in einer Art und Weise zugenommen, „die unbeschreiblich ist“, so Schnabel. So sei das jüdische Viertel der Altstadt von Jerusalem für ihn, als durch seine Ordenstracht klar erkennbaren Christen, zu einer „No-go-Area“ geworden.3
Ist der Jerusalemer Abt glaubwürdig?
Meine intensiven Recherchen bestätigen Nikodemus Schnabel: Wir haben allein 2023 schon sieben Vorfälle von antichristlicher Gewalt in Jerusalem. Darunter: Es wurden der anglikanisch-lutherische Friedhof und eine maronitische Kirche verwüstet, ein armenisches Restaurant angegriffen, an der Via Dolorosa eine Christusstatue in der römisch-katholischen Franziskanerstation zerschmettert und ein koptischer Christ wurde am Mariengrab mit einer Eisenstange angegriffen.4 Eine Dunkelziffer ist angesichts der Sensibilität des Themas in Israel eher nicht zu vermuten.
Das sind sieben Vorfälle zuviel, zweifellos! Allerdings gewinnt man den Eindruck: Nikodemus Schnabel ist das Opfer Nr. 1. Sein katholischer Mitbruder Priester Markus Bugnyar, Rektor des Österreichischen Pilgerhospizes in Jerusalem an der Via Dolorosa, relativierte zum Karfreitag gegenüber den Vatican News dessen Sichtweise:
Ich persönlich habe ehrlich gesagt nicht den Eindruck, dass die Feindseligkeiten gegen Christen aktuell zunehmen würden. Im Gegenteil. Das, was wir Anfang des Jahres noch erleben mussten, die Auseinandersetzungen im christlichen und armenischen Viertel, die Schändung des christlichen Friedhofes auf dem Zionsberg und anderes mehr – all das ist in den letzten Wochen doch zu einem Ende gekommen. Es ist aktuell ruhig. (…)
In den letzten Jahren und Jahrzehnten, in denen ich hier im Österreichischen Hospiz leben und arbeiten darf, habe ich immer wieder solche Wellen und Feindseligkeiten erlebt. Sie entstehen, sie haben möglicherweise Anlässe, sie bäumen sich auf, sie erleben ihren Höhepunkt, sie verebben aber auch und sie verschwinden. Und das ist Gott sei Dank, die Situation, die wir aktuell hier in Jerusalem haben. Nichts davon ist vergessen. Nichts davon kann man allerdings ernsthaft als eine orchestrierte, organisierte Verfolgung der christlichen Minderheit im Heiligen Land bezeichnen.
Wichtiger noch scheint mir die theologische Einordnung von feindlichen Haltungen gegenüber Christen zu sein, die Markus Bugnyar in dem Interview gibt.
Das Österreichische Hospiz steht an der Via Dolorosa, genau an der dritten Station des Kreuzweges. Unsere Postanschrift lautet Via Dolorosa 37. Ganz ehrlich, das macht auch etwas mit mir, wenn ich mir in Erinnerung rufen, dass vieles von den Herausforderungen gerade als christliche Minderheit, gerade als Kleriker hier im Heiligen Land, natürlich im Schatten des Kreuzes stattfindet. Der ehemalige lateinische Patriarch von Jerusalem, Michel Sabah, hat vor vielen Jahren zu mir gesagt Lieber Herr Rektor, was erwarten Sie eigentlich? Ihr Leben kann ja hier nicht immer nur von positiven Dingen geprägt sein: Ihre Adresse lautet Via Dolorosa. Stellen Sie sich bewusst in den Schatten des Kreuzes.
Solch christliche Grundhaltung fehlt bei Nikodemus Schnabel völlig. Vielmehr hat er eindeutig eine politische Agenda. Und sie ist die eigentliche Triebfeder der Klageworte des Abtes.
Ihr Leben kann ja hier nicht immer nur von positiven Dingen geprägt sein:
Ihre Adresse lautet Via Dolorosa.
Stellen Sie sich bewusst in den Schatten des Kreuzes!
(Michel Sabbah, emeritierter Lateinischer Patriarch von Jerusalem)
Christenhasser auf der Regierungsbank in der Knesset?
In seinem Bestseller-Buch Zuhause im Niemandsland. Mein Leben im Kloster zwischen Israel und Palästina, erschienen 2015, entdeckte Nikodemus Schnabel die Hooligans der Religion:
Sie sehen einem echten Gläubigen sehr ähnlich, da sie sich äußerlich mit allen Accessoires eines Religiösen schmücken – darin ja nicht unähnlich den Hooligans im Stadion, die Fanbekleidung tragen –, doch im Gegensatz zu den Tiefgläubigen, die voller Begeisterung und Leidenschaft für Gott brennen, geht es den Religionshooligans um die identitätsstiftende Gruppenidentität, welche immer wieder bewusst die Abgrenzung zu den anderen Religionen sucht, gerne auch gewaltsam.
Neu seit seiner Wahl zum Abt der Dormitio ist, dass er die Religionshooligans nun in der Regierung des Staates Israel ausmacht. Nicht allein bringt er die von ihm beobachtete starke Zunahme von Angriffen auf Christen unmittelbar mit dem Antritt der rechts-religiösen Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Verbindung.5 Vielmehr fasst die Süddeutsche Zeitung seine Aussagen im Interview so zusammen: Jene, die Christen hassen, sitzen jetzt auf der Regierungsbank.6 In den Worten von Nikodemus Schnabel:
Gesellschaftlich gab es schon immer die Kräfte, die uns abgrundtief hassen. Die hat Amos Oz mal „jüdische Neonazis“ genannt. Früher waren das die Ränder der Gesellschaft, heute sitzen sie auf der Regierungsbank wie der Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir.
Hier wird es infam. Und antisemitisch. Denn den jüdischen Schriftsteller Amos Oz herbeizuzitieren und sich hinter ihm zu verstecken, um dann anzudeuten, dass die rechtsextremistischen Ränder der Gesellschaft nun die Regierung des Staates Israel bilden, obgleich diese Regierung – man mag sie mögen oder nicht – die Mehrheit in demokratischen Wahlen zur Knesset errungen hat, ist eine nicht mehr legitime, weil demokratiefeindliche, israelfeindliche und antisemitische Aussage.
Das macht er gern, der Herr Abt, – und auch das ist ein Kennzeichen von Antisemitismus – mit munkelnden Andeutungen zu arbeiten. Zu den gegen christliche Einrichtungen gerichteten Vorfällen fragt er scheinheilig:
Steckt dahinter eine gezielte, politisch gewollte Verdrängung der Christen aus Jerusalem? Das ist das, was ich höre. Ich selbst bin Theologe und kein politischer Analyst…
Johannes Gerloff schrieb in einer E-Mail und gab darin ein weiteres Beispiel:
Wenn Pater Nikodemus „der jetzigen Regierung, die auf ein einheitliches jüdisches Erscheinungsbild der Stadt [Jerusalem] hinarbeitet“ einfach so „Begehrlichkeiten“ [an kirchlichen Grundstücken] unterstellt, als Erklärung dafür, dass Christen „in Jerusalem immer wieder stark unter Druck geraten“ – dann muss man schon sehr naiv sein, um darin nicht alte antijüdische Motive in der christlichen Polemik zu erkennen.
In der nächsten Begegnung Sonntags in Jerusalem am 16. Juli 2023, um 17 Uhr, wollen Johannes Gerloff und ich das Thema der Christen im Staat Israel mit dir diskutieren und weiter ausleuchten. Du kannst dabei sein und mitreden. Melde dich dazu – wenn noch nicht geschehen – hier an:
Was sagen Minister und Rabbiner?
In seinen verschiedenen Interviews greift Nikodemus Schnabel bevorzugt den Minister Itamar Ben-Gvir an. Auf dem Christlichen Mediengipfel 2022 in der Knesset sagte dieser an Christen gerichtet:
Wer mich kennt, weiß: Was ist mir wirklich wichtig? Ich sorge mich wirklich darum, dass die Bürger Israels, alle seine Bürger, in diesem Land in Sicherheit leben können. Diejenigen, die uns schaden wollen, wollen auch euch schaden. Es mag sein, dass sie mit uns, dem jüdischen Volk, beginnen wollen, aber ihr seid, Gott bewahre, die nächste Stufe.
Der frühere sefardische Oberrabbiner Israels, Schlomo Mosche Amar, hat Gewalt gegen Christen in der vergangenen Woche scharf verurteilt: In einer Mitteilung bezeichnete der Rabbiner laut der italienischen katholischen Nachrichten-Agentur Sir die Angreifer als falsch gottesfürchtige, unverantwortliche Menschen, die die Tora und ihre Wege nicht beachten. Attacken dieser Art seien streng verboten. Jüdischen Gläubigen sei es nicht erlaubt, einen Menschen zu verunglimpfen, der nach dem Ebenbild Gottes geschaffen wurde. Darüber hinaus sei auch die Entweihung des Namens Gottes eine schwere Sünde und gehöre nicht zu den jüdischen Gepflogenheiten.
Was sagen andere Christen?
Gabriel Nadaf ist Priester der griechisch-orthodoxen Gemeinde in Nazaret an. Er wirbt für den Dienst von Christinnen und Christen in der israelischen Armee und bespricht mit Knessetabgeordneten, wie der Eintritt in diesen freiwilligen Dienst erleichtert werden kann. Unterstützung findet er vor allem bei den Mitte-Rechts-Parteien. Er sagt:7
Dass wir uns in die israelische Gesellschaft integrieren wollen, hat moralische und historische Gründe und hängt mit den Wurzeln der Christen im Nahen Osten und speziell in Israel zusammen. Denn das Christentum kommt direkt vom Judentum und ist davon nicht wegzudenken. Das ist das Land unserer Väter und Großväter. Wir wollen nun zu unseren Wurzeln zurückkehren, denn mit den arabischen Staaten haben die Christen ja nichts zu tun.
Muss sich ein Abt der Benediktiner in Jerusalem von einem griechisch-orthodoxen Priester in Nazaret erinnern lassen, dass es eine Geschichte des christlich-jüdischen Verhältnisses und jüngst auch des deutsch-israelischen Verhältnisses gibt? Die historischen Gründe für dieses Verhältnis sollten Nikodemus Schnabel dazu bringen, seine Worte anders zu wählen!
Zuhause im Niemandsland.
(Nikodemus Schnabel)
Dass wir uns in die israelische Gesellschaft integrieren wollen, hat moralische und historische Gründe. Denn das Christentum kommt direkt vom Judentum und ist davon nicht wegzudenken.
(Gabriel Nadaf)
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