ahavta+ || In die Judenschule!
Von der Entdeckung eines „antisemitisch“ geltenden Begriffs als christliche Aufgabe
Der vergangene Sonntag war gemäß des liturgischen Kalenders der evangelischen Kirchen der Israelsonntag. Er liegt auf dem 10. Sonntag nach Trinitatis und ist der einzige mit einem thematischen Bezug außerhalb der Lebensgeschichte Jesu. Dieser ist seit dem Mittelalter die Nähe zum 9. Aw des jüdischen Kalenders, an dem der Tradition zufolge beide Jerusalemer Tempel zerstört wurden.
Laut Auskunft des Internetportals der EKD erinnert der Israelsonntag an das enge Verhältnis von Christen und Juden. Neben der Schuld[,] die Christen und die Kirche auf sich geladen haben, und den Beziehungen zwischen Juden und Christen im Glauben an den selben Gott steht aber auch das Bekenntnis zur bleibenden Erwählung Israels … im Mittelpunkt der Gottesdienste.1
Dahin gestellt lasse ich die freilich bedeutsame Anfrage, ob in einer nennenswerten Zahl von Gottesdiensten tatsächlich die Gemeinde neben dem apostolischen Glaubensbekenntnis (das selbst durch und durch „israelvergessen“ ist) ein solches Bekenntnis gesprochen hat. Heute will ich vielmehr nach Folgen eines solchen Bekenntnisses fragen.
In der Ausgabe vom 9. Juli gab es die erste der (wahren) Geschichten vom Schreibtisch des Rabbiners, die Rabbiner Dr. Walter Rothschild exklusiv für Mitglieder von ahavta+ zur Verfügung gestellt hat. Längst ist die Zeit für eine weitere Folge gekommen. Die heutige Geschichte Das Tier in mir ist ebenso berührend wie sie zu beinahe unendlichem Nachdenken über Gott, seine Schöpfung und den Menschen – und ja, auch über die Tierwelt – anregt.
Ich wünsche dir Schalom für einen schönen Sonntag und eine gute Woche
dein Ricklef Münnich
Wenn Israel eine Bedeutung hat…
Zuletzt hat sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) auf ihrer 3. Tagung der 12. Synode am 9. November 2016 mit der Bedeutung des Volkes Israel beschäftigt. Die verabschiedete Kundgebung ging davon aus: Die Einsicht in die bleibende Erwählung Israels ist seitdem [der Synode der EKD in Berlin-Weißensee 1950] in Theologie und Kirche bedacht, auf ihre Folgen hin befragt und für die kirchliche Lehre fruchtbar gemacht worden. Das Kirchenparlament hielt fest: Das Verhältnis zu Israel gehört für Christen zur eigenen Glaubensgeschichte und Identität.
Welchen Ausdruck aber findet diese christliche Identität? Wenn du hier nachzufassen suchst, findest du in der genannten Kundgebung den Hinweis auf vielfältige Formen der Begegnung von Christen und Juden und durch solche Begegnungen eröffnete Lernwege. Gelernt hätten evangelische Christen einander gleichberechtigt wahrzunehmen, im Dialog aufeinander zu hören und unsere jeweiligen Glaubenserfahrungen und Lebensformen ins Gespräch zu bringen.
Vielleicht ist das doch eher Wunsch als Realität, jedenfalls was die Breite und Tiefe der christlich-jüdischen Begegnungen angeht. Denn man kommt nicht umhin, mit zu bedenken, ob und in welchem Maß die vergleichsweise kleine Schar von Jüdinnen und Juden in Deutschland überhaupt zu Dialog und Austausch von Glaubenserfahrungen im Stande ist. Ihre vorrangige Aufgabe ist, für sich selbst zur Vergewisserung eines wirklich jüdischen Lebens in Deutschland zu kommen.
Das entbindet Christinnen und Christen jedoch nicht von der Herausforderung, selbst eine von Israel mitgeprägte Glaubensidentität zu entwickeln.
…musst du in die Judenschule gehen.
Jesus war Jude und gehörte zum Volk Israel. Diese Eigenschaft und diese Zugehörigkeit hat er weder verloren noch aufgegeben. Das bedeutet:
Wenn du dich selbst an diesen Jesus von Nazaret bindest, weil du glaubst, dass Gott sich an ihn gebunden hat, dann bindet er dich gleichfalls an sein Volk Israel.
Wenn nun – so das Bekenntnis der Kirchen und am Israelsonntag – dieses Volk eine bleibende und damit gegenwärtige Bedeutung in seiner Berufung durch Gott hat, ist es für deine christliche Identität relevant, wie Israel in seiner Geschichte und heute die Tora Gottes an Mose vom Sinai versteht und auslegt, wie es betet, wie es feiert, wie es jüdisch lebt. Relevant, nicht nur interessant. Relevant meint: Wesentlich und zwingend ist es für christliche Identität, so viel wie möglich das jüdische Volk in seinem Leben mit der Tora zu kennen und zu verstehen. In seinem Selbstverständnis zu verstehen, ohne Voreingenommenheit, ohne Vorurteile.
Noch einmal anders ausgedrückt: Jesus wird in den Evangelien Lehrer, Rabbi und Meister genannt. Er lehrte seine Schülerinnen und Schüler Tora und öffnete ihnen diese mit seinen Auslegungen und mit seinem Handeln nach den Geboten. In christlicher Theologie und Verkündigung wird zwar oft danach gefragt, wie Jesu Zeitgenossen unter den Pharisäern und Sadduzäern gelehrt und gehandelt haben. Doch was ein Rabbi Akiva im zweiten Jahrhundert, ein Maimonides im 12. Jahrhundert, ein Samson Raphael Hirsch im 19. Jahrhundert, ein Jonathan Sacks im 20. Jahrhundert gelehrt haben oder auch ein Walter Rothschild oder Joshua Ahrens oder Amnon Seelig im 21. Jahrhundert lehren, gilt überwiegend als ausschließlich innerjüdisch wichtig.
Das ist es aber nicht – jedenfalls dann nicht, wenn Jesus als Christus heute für dich lebt und lehrt. Dann ist er bleibend Lehrer, Rabbi und Meister, so wie sein Volk bleibend seine Berufung lebt. Beides gilt es zu verstehen: Christus zu verstehen und sein Volk Israel zu verstehen. Und zu begreifen, wie beides bleibend miteinander zu tun hat.
Das ist ein Lernweg, der nicht einfach ist. Auch deshalb nicht, weil wir nach fast 2000 Jahren christlich-jüdischen Verhältnisses noch oder wieder am Anfang dieses Weges stehen.
Christus verstehen und Israel verstehen
Beides als Wechselbeziehung – hin und her – zu sehen und sich auf den Weg zu machen, das versuche ich mit ahavta - Begegnungen auf verschiedene Weise. Ich befinde mich damit in einer winzigen Nische. Aber ich bin nicht allein. Du und die anderen Leserinnen und Leser, Hörerinnen und Hörer, Wegbegleiter und Mitreisende und ich, wir bilden eine Gemeinschaft. Ich danke dir, dass du dazugehörst. Aber sollte unsere Zahl nicht größer werden?
Darum habe ich heute ein Empfehlungsprogramm gestartet. Eine Freundschaftswerbung. Über den Knopf unten oder den Share- bzw. Teilen-Button in jeder Ausgabe oder auf der Website von ahavta - Begegnungen kannst du mich, meine Veröffentlichungen und ahavta+ weiterempfehlen. Schicke den Link einfach in einer SMS oder E-Mail oder teile ihn in „sozialen Medien“ mit deinen Freunden oder Menschen, von denen du denkst, sie könnten sich interessieren.
Es gibt auch einen Lohn für deine Mühe. Wenn drei, sechs oder neun Menschen deinen Empfehlungslink für ein kostenfreies oder das ahavta+-Abonnement nutzen, erhältst du besondere Vorteile. Die sind eher symbolisch als wertvoll. Aber deine Weiterempfehlung ist für ahavta - Begegnungen sehr bedeutsam. Darum schon jetzt: DANKE dafür!
Warum ahavta+ etwas kostet
Nicht selten werde ich das gefragt. Vielleicht auch deshalb, weil doch so vieles im Internet „umsonst“ zu finden ist. Ich antworte dann:
Leider ist im Internet nichts „umsonst“. Du bezahlst entweder über Werbung, die du dir ansehen musst. Oder deine Daten werden irgendwie verwendet und weitergegeben. Hier bei Substack sind es jedoch ausschließlich die Leser, die die Texte eines Autors tragen. Ich denke, das ist die künftige Form eines ehrlichen Journalismus.
Die Informationen und Texte bei bei ahavta+ sind nirgendwo sonst in dieser Form veröffentlicht. Sie sind entweder eigens geschrieben oder hier zusammengestellt.
Der zeitliche Aufwand der Recherchen und des Schreibens ist beträchtlich.
Aber das Wichtigste: Der publizistische Korridor für die Themen von ahavta+ ist anderswo nicht gegeben. Ich sehe derzeit keine Möglichkeit, in sonstigen Online- oder Print-Medien meine Sichtweisen auf das christlich-jüdische Verhältnis, das jüdische Leben mit der Tora oder den Staat Israel darzulegen.
„Das Tier in mir“
Und nun zur heutigen Geschichte vom Schreibtisch des Rabbiners Walter Rothschild ! Sie erzählt von einem denkwürdigen Gespräch. Es beginnt mit der Frage: Rabbi, was sagt das Judentum über den Unterschied zwischen Mensch und Tier?
Über den folgenden Button kannst du diese Geschichte als Mitglied von ahavta+ zu deinem persönlichen Gebrauch zusätzlich als PDF-Datei laden.
Mit einem 7-tägigen kostenlosen Probeabonnement weiterlesen
Abonnieren Sie ahavta - Begegnungen, um diesen Post weiterzulesen und Sie erhalten 7 Tage kostenlosen Zugang zum gesamten Post-Archiv.