ahavta+ || das Nikodemus-Syndrom
Um die Bedeutung von Nikodemus im Johannesevangelium und sein (identisches) Gegenüber in rabbinischer Tradition geht es diesmal. Das hat mit unserem Verhältnis zu Israel zu tun.
Schalom,
fragst du einmal herum, was der Sabbat ist, wirst du häufig die Antwort erhalten: Das ist der jüdische Sonntag. An solchem Vorwissen ist im Grunde alles falsch. Weshalb die Bedeutung des Schabbat in christlicher Lehre, Predigt und Alltagskultur verschwunden ist und wie er neu Beachtung finden kann, darüber hatte ich zuletzt geschrieben. Eine Leserin hat mir geantwortet, wie sie ihre eigenen persönlichen Antworten zum Schabbat gefunden hat. Sie hat zugestimmt, dass du sie kennenlernst. Auf weitere Reaktionen freue ich mich.
Gleichgültigkeit, Unkenntnis und Ignoranz in Kirche und Theologie gegenüber dem Schabbat sind Teile einer größeren Israelvergessenheit im Christentum. In den letzten 50 Jahren ist es zwar gelungen, die gröbsten Vorurteile gegenüber Juden und Judentum aufzudecken und jahrhundertealte Stereotype nicht mehr zu wiederholen. Heute sind viele Kirchenvertreter wirklich überzeugt, man befände sich bereits in einem neuen Zeitalter christlich-jüdischen Dialogs. Allerdings entfaltet sich dieser häufig in „Sonntagsreden“, wie sie etwa Anfang März wieder bei der Woche der Brüderlichkeit gehalten werden. Zudem wird dieser Dialog oft nur mit Vertretern jüdischer Gruppen geführt, die selbst Minderheiten im weiten jüdischen Spektrum sind.
Zum anderen weiß man sich mit Jüdinnen und Juden im Kampf gegen Antisemitismus verbunden. Dieser bleibt jedoch solange halbherzig und unglaubwürdig, wie er von so gut wie allen Kirchen als Kampf „gegen rechts“ verstanden wird und Formen wie „Antisemitismus von links“, islamische Judenfeindschaft sowie die überall verbreitete Israelfeindschaft eher unter der Decke gehalten und nicht angesprochen werden.
In der Gegenwart erleben wir somit eine zweite Generation von Israelvergessenheit. Eine, die alle empört von sich weisen würden: Bei uns gibt es das doch nicht! Ich nenne sie heute das Nikodemus-Syndrom.
Übrigens: Nach all meiner Erfahrung ist das hundertprozentig wirksame Mittel gegen jegliche Israelvergessenheit eine Israelreise. Eine solche, auch nach Jordanien führende habe ich dir hier vorgestellt. Alle Informationen zum Reiseprogramm und zur Anmeldung:
Ich wünsche dir a gut woch sowie einen gesegneten Sonntag
dein Ricklef Münnich
Schabbat einer Abonnentin von ahavta+
Zum Schabbat habe ich meine eigenen Antworten gefunden, wie sie zu meinem Leben passen.
Zunnächst einmal wird ja in 2.Mose 20,10 bei der ziemlich genauen Aufzählung, für wen das Ruhegebot gilt, zwar Sohn und Tochter, Knecht und Magd und sogar das Vieh und der Fremdling erwähnt, aber die Ehefrau fehlt. Jemand muss sich ja auch an diesem Tag um das Essen kümmern, um Kinder und um Kranke.
Dabei wird zweimal betont, dass es um Gott selbst geht. Es ist der Schabbat des Herrn. Er will nach all der Arbeit seine Schöpfung auch genießen, in ihr ruhen.
Dieser Gedanke ist für mich zum Schlüssel geworden. Gott will in meinem Herzen zur Ruhe kommen. Wenn ich jetzt das Thema des letzten Sonntags vom vierfachen Ackerfeld und vom Wort, das nicht leer zurückkommt, hinzuziehe, dann ist es doch auch die Sehnsucht Gottes, dass der Same seines Wortes in mir aufgeht und Frucht bringt und ein schöner Garten mit vielen Blüten und Früchten entsteht, den Gott genießen möchte, in ihm zur Ruhe kommt. Und auch, dass er die äußere Schöpfung und alles Gute, das er immer noch reichlich in dieser Welt tut, durch meine Augen, durch meine Wahrnehmung und meine Dankbarkeit genießt. Aber auch, dass jemand das Leiden Gottes mitleidet.
Mein Herz dafür zur Verfügung zu stellen, das ist für mich das Halten des Schabbat-Gebotes geworden.
Wer war Nikodemus?
Im Evangelium nach Johannes, Kapitel 2,23, ist Jesus zum Pessach-Fest zum ersten Mal in Jerusalem. Dort spricht er jedoch nicht über sich (sondern handelt 2,13–22). Umso ausführlicher dann aber in einer nächtlichen Unterhaltung (3,1–21) mit Nikodemus, der zu Beginn als Mensch, der zu den Pharisäern gehörte, und als Führungspersönlichkeit der Juden vorgestellt wird.
Die theologischen Kommentare sagen durchweg, wer dieser Nikodemus war, könnten wir nicht wissen. Ich weiß es auch nicht. Aber bislang wurde nicht hinreichend bedacht, dass es kaum Menschen im Johannesevangelium gibt, die namentlich genannt werden. Von den Schülern Jesu, Pilatus und dem Hohepriester abgesehen, trifft das lediglich auf die Geschwister Maria, Martha und Lazarus zu sowie auf Josef von Arimatäa – und seltsamerweise auf den Knecht Malchus, dem Petrus bei Jesu Gefangennahme ein Ohr abschlägt. Ja, im gesamten Evangelium erfahren wir nicht einmal den Namen der Mutter Jesu!
Deshalb ist davon auszugehen, dass die Quellen des vierten Evangeliums wussten, wer Nikodemus war – zumal wir schon mehrfach festgestellt hatten (zuletzt an Sukkot im Blick auf das Wasserschöpffest an der Siloa-Quelle), dass das Evangelium recht genaue Kenntnisse vom Jerusalem vor der Tempelzerstörung wiedergibt.
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