Die Welt verändert sich. Welch banale Feststellung! Aber angesichts der Vielzahl neuer Entwicklungen nehmen wir manche bedeutsamen gar nicht mehr richtig wahr. Auf zwei mache ich dich heute aufmerksam.
Die eine ist der schier unglaubliche Fortschritt für das Studium der Tora und der jüdischen Quellen, der in den vergangenen zehn Jahren seinen Lauf genommen hat. Ich lade dich ein, dabei zu sein und dich mit einem Buchstaben in eine Tora einzuschreiben.
Mindestens jede zweite Meldung in den großen Medien Deutschlands geht auf die Justizreform in Israel und die Proteste dagegen ein. Auch bei ahavta+ habe ich hier und hier dazu geschrieben und einen Einwurf von Ronald S. Lauder veröffentlicht. Ich verkneife mir, bereits wieder zu reagieren, obgleich sich mir die Nackenhaare aufstellen: Am 23. August veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf Seite 11 einen Beitrag unter der Überschrift Apartheid ist Realität in Israel, in dem es darum geht, warum Israel den Vorwurf aushalten muss, ein Regime der Rassentrennung zu sein. Geschrieben hat ihn Amos Goldberg, Professor für Holocaust-Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem, also ein Israeli. Was aber bedeutet es, wenn er exklusiv und prominent in Deutschland erscheint?
Doch ich wollte ja auf positive Entwicklungen hinweisen. Ich meine konkret Schienenwege in die Zukunft, die das Potential haben, nicht nur Israels Rolle im „Nahen Osten“, sondern diesen selbst nachhaltig zu verändern. Wie sehr schon dieser Begriff selbst dabei ist, obsolet zu werden, wir vielmehr von einem Zentrum einer ganz neuen Welt aufstrebender Länder sprechen, ist nur einer der zahlreichen Aspekte, die zum Nachdenken anregen, wenn du den Beitrag von Rabbiner Dr. Walter Rothschild liest: Eisenbahnen im neuen Nahen Osten – Geschichte und Zukunft. Er hat ihn eigens für Mitglieder von ahavta+ zur Verfügung gestellt.
Von der Gegenwart auf Schienen soll ebenfalls die Rede sein: In Tel Aviv wurde vor zehn Tagen die Rote Linie der Stadtbahn nach jahrelangen Verzögerungen eröffnet und in Betrieb genommen.
Ich wünsche dir Schalom für einen schönen Sonntag und eine gute Woche
dein Ricklef Münnich
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10 Jahre Sefaria
Als ich vor fast zwei Jahren die Thüringer Landeshauptstadt Erfurt verließ, habe ich mich von mehreren Hundert Büchern mit jüdischen Texten und über das Judentum getrennt. Ich hatte sie der Jüdischen Landesgemeinde geschenkt in der Hoffnung, dass dort künftige Generationen einen Nutzen daraus ziehen mögen. Trotzdem fiel es mir nicht leicht, die zum Teil in Israel erworbenen Bände abzugeben. Doch ich tröstete mich mit Sefaria…
Sefaria ist eine gemeinnützige Organisation. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, das kollektive Erbe der jüdischen Texte von der gedruckten in die digitale Welt zu überführen, um ihre Reichweite und Wirkung auf neue und nie dagewesene Weise zu vergrößern. So entstand und wächst eine kostenlose und lebendige Bibliothek aus 2000 Jahren jüdischen Lernens mit der Tora. Sie ist mit jedem mit dem Internet verbundenen Computer und sogar mit einem Smartphone verfügbar.
Die Texte sind natürlich zumeist in hebräischer Sprache, doch wo immer möglich werden Übersetzungen beigegeben. So ist zum Beispiel aus der Blütezeit des deutschen Judentums im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts die Übersetzung des babylonischen Talmuds durch Lazarus Goldschmidt problemlos zu studieren. Wie einfach das geht, davon kannst du dich hier überzeugen:
Zum zehnjährigen Geburtstag von Sefaria wurde jetzt die Global Community Torah ins Leben gerufen. In 5.Mose 31,19 heißt es: Und nun denn, schreibt euch diesen Gesang auf und lehre ihn die Kinder Jisrael. Dieser Vers ist die Quelle für das letzte Gebot der Tora: Jeder Jude soll eine Tora schreiben, denn jeder Jude hat einen Anteil an der Tradition. Bei der Tora für Erfurt konnten viele dieses Gebot erfüllen, indem sie ihre Hand auf den Arm des Tora-Schreibers legten – sogar der katholische Bischof Ulrich Neymeyr:
Jetzt kannst du bei Sefaria deinen eigenen Buchstaben der Global Community Torah schreiben:
Dazu wählst du die Schriftart deines Buchstabens aus und gibst anschließend deine Daten ein, um Teil der Global Community Torah zu werden. Danach wird dir dein Buchstaben in der Tora angezeigt.
Außerdem zeigt eine Weltkarte, die vergrößerbar und beweglich ist, deinen Standort an. Ich meine, in Deutschland sollten sich noch einige Buchstaben mehr auffinden lassen…
Aber das Wichtigste: Du unterstützt – vielleicht sogar mit deiner Spende – ein Projekt, das das jüdische Lernen revolutioniert.
Die Stadtbahn, die das Gesicht Tel Avivs verändert
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts neben der alten Hafenstadt Jaffa gegründet, ist Tel Aviv heute das Zentrum von Israels am dichtesten besiedeltem Ballungsraum, dem Gusch Dan, der über 25 Gemeinden umfasst und in dem mehr als 2,5 Millionen Menschen leben. Als Israels wichtigstes Geschäfts-, Kultur- und Industriezentrum benötigte Tel Aviv dringend eine moderne Lösung für den öffentlichen Nahverkehr. Denn bis zuletzt bestand er hauptsächlich aus Bussen, die zwar modern und recht gut organisiert sind, aber immer öfter in den Staus der Autos steckenblieben.
Der Bedarf an einer schnellen und häufig verkehrenden U-Bahn wurde bereits in den siebziger Jahren durch Golda Meir erkannt, doch aufgrund verschiedener politischer und finanzieller Probleme begann der Planungsprozess erst Ende der neunziger Jahre, als die Zentralregierung schließlich beschloss, diesem Projekt hohe Priorität einzuräumen und die dringend benötigten Haushaltsmittel bereitzustellen. 1997 wurde ein staatliches Unternehmen namens NTA gegründet (NTA = Netiwej Tachbura Ironiim – „Städtische Verkehrswege“). Wie bereits mehrfach zuvor sollte auch hier das Stadtbahn-Netz nach dem BOT-Modell (Build-Operate-Transfer) finanziert und gebaut werden: Ein privates Unternehmen baut die Linien und betreibt sie 32 Jahre lang, um das Netz dann in staatliches Eigentum zu überführen.
Jetzt war es soweit, nachdem jahrelange Verzögerungen das Projekt schließlich 4,5 Milliarden Euro kosten ließen: Die erste von später sechs Linien, die „Rote Linie“, wurde eröffnet. Ihre 34 Stationen führen über 24 Kilometer von Bat Jam über Jaffa, Tel Aviv, Bne Brak, Ramat Gan nach Petach Tikwa. Zehn Bahnhöfe liegen unterirdisch, die Hälfte der Strecke führt durch Tunnel. Die gesamte Fahrt kostet 12 Schekel (2,90 €), eine Kurzstrecke 5,50 Schekel (1,35 €).
Die größte Kritik im überwiegend säkularen Tel Aviv: Die Stadtbahn, bei der mindestens alle fünf Minuten ein Zug fährt, verkehrt nicht am Schabbat. Das entspricht allerdings dem Status Quo, denn die Bahn fährt auch durch das ultraorthodoxe Bne Brak – womit wir wieder bei den aktuellen Debatten in Israel angekommen wären…
Ein großes & schnelles Thema: Eisenbahnen in Israel
Jerusalem war schneller als Tel Aviv: Bereits seit 2011 hat die Stadtbahn dort nicht nur das Stadtbild, sondern auch das Zusammenleben der Menschen deutlich verändert.
Von der heiligen Stadt gelangt man, wenn man zum tiefstgelegenen Personenbahnhof der Welt hinabsteigt, in nur etwa 30 Minuten mit der Schnellbahn nach Tel Aviv – und kulturell beinahe in ein anderes Land.
Die Revolution des öffentlichen Nahverkehrs ist in Israel auf dem Weg! Schau dir nur das Stadtbahn-Projekt „Nofit“ an, das künftig Nazaret und Haifa verbinden wird:
Lange Zeit war das Thema Eisenbahn in Israel „tot“. Warum das aufgrund der Kriege um das Land und mit Israel so gewesen ist, erläutert Rabbiner Dr. Walter Rothschild in seinem folgenden Beitrag. Nicht zuletzt infolge der Abraham Accords beginnt der Staat Israel jedoch auch in der Region eine andere Position einzunehmen. Große Vorhaben werden jetzt aus den Schubladen hervorgeholt – von China bis Afrika…
Walter Rothschild ist, wie manche wissen, nicht nur Rabbiner und Kabarettist, sondern als „Universalgelehrter“ seit 1989 auch Herausgeber der Zeitschrift HaRakevet. Das hebräische Wort Rakevet bedeutet schlicht „Eisenbahn“. Die Zeitschrift ist das weltweit einzige Organ, das sich auf Nachrichten und historisches Material über Eisenbahnen im Nahen Osten und insbesondere in Israel spezialisiert hat.
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