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Schabbat Wajeze || Gott am unerwarteten Ort: Der Weg zum Vertrauen

Ein heiliger Ort, eine Himmelsleiter – doch Jakob zweifelt. Rabbiner Ahrens über göttliche Präsenz, menschliche Bedingungen und den langen Weg zum wahren Vertrauen.

Zum „Wort zum Schabbat“ von ahavta - Begegnungen kann ich Rabbiner Dr. Jehoschua Ahrens willkommen heißen. Im Mittelpunkt steht der Wochenabschnitt Wajeze (1. Buch Mose 28,10 – 32,3), der eine zentrale Jakobsgeschichte erzählt.


Bei ahavta - Begegnungen kannst du den Tora-Abschnitt der Woche in der Übersetzung durch Samson Raphael Hirsch lesen und sogar als Podcast anhören:


Rabbiner Ahrens konzentriert sich in seiner Auslegung vor allem auf den berühmten Traum Jakobs von der Himmelsleiter. Er ordnet das Geschehen zunächst in den narrativen Kontext ein: Jakob befindet sich auf der Flucht vor seinem Bruder Esau, der ihm nach dem Leben trachtet, nachdem Jakob sich den Erstgeburtssegen ihres Vaters Isaak erschlichen hat. Auf Anraten seiner Mutter Riwka und mit dem Einverständnis seines Vaters zieht Jakob von Beerscheba Richtung Haran, um dort in der Verwandtschaft seiner Mutter eine Frau zu finden.

Auf dieser Reise gelangt Jakob an einen bestimmten „Ort“, an dem er übernachtet. Ahrens betont die Wichtigkeit dieses Begriffs, da das hebräische Wort für Ort, Makom, im Judentum auch als Synonym für Gott verwendet wird – ein Hinweis auf Gottes Omnipräsenz. In seinem Traum sieht Jakob eine Leiter (Sulam), die auf der Erde steht und bis in den Himmel reicht. Engel steigen an ihr auf und nieder, und Gott selbst erscheint ihm. Der Ewige erneuert die Verheißung an Abraham und Isaak, verspricht Jakob das Land, zahlreiche Nachkommen und seinen göttlichen Schutz auf all seinen Wegen.

Interessanterweise reagiert Jakob nach dem Erwachen nicht mit Freude oder Erleichterung, sondern wirkt laut Ahrens eher ängstlich und überrascht. Er erkennt zwar: „Wirklich, der Ewige ist an diesem Ort und ich wusste es nicht“, und benennt den Ort Bet-El (Haus Gottes), doch sein darauffolgendes Gelübde (Neder) offenbart für Ahrens eine spirituelle Unreife. Jakob formuliert Bedingungen: „Wenn Gott mit mir sein und mich behüten wird... dann soll der Ewige mein Gott sein.“ Ahrens kontrastiert diese Haltung mit dem bedingungslosen Gehorsam Abrahams. Jakob verhandelt quasi mit Gott und zeigt, dass er noch am Anfang seiner spirituellen Reise steht; ihm fehlt noch das vollkommene Vertrauen.

Ahrens zieht zudem eine Parallele zur Geschichte des Turmbaus zu Babel. Auch dort versuchten Menschen, durch ein Bauwerk („eine Spitze bis an den Himmel“) eine Verbindung nach oben herzustellen. Doch während der Turmbau ein Akt menschlicher Hybris war, um sich „einen Namen zu machen“ (wie Rabbiner Samson Raphael Hirsch erläutert), ist Jakobs Leiter ein Symbol für eine wirkliche Verbindung, die jedoch von Gott ausgeht. Die Menschen von Babel scheiterten und wurden zerstreut; Jakob hingegen erhält eine echte Zusage, auch wenn er sie in diesem Moment noch nicht vollständig begreifen kann.

Abschließend verweist Rabbiner Ahrens auf ein talmudisches Bild, das zwei Versionen von Jakob beschreibt: ein ideales Bild im Himmel, das sein volles Potenzial zeigt, und ein reales Bild auf der Erde, das seine aktuelle Unvollkommenheit widerspiegelt. Jakobs Aufgabe – und analog dazu die Aufgabe jedes Menschen – ist es, dieses Potenzial in die Realität zu holen und daran zu wachsen. Jakob reift erst durch die harten Arbeitsjahre bei Laban und die Gründung seiner Familie zu dem Mann heran, der später den Namen Israel tragen wird.

Abschließend ergänze ich diesen Gedanken um den Wunsch, Gott nicht nur in großen Wundern, sondern im eigenen Leben mit aufmerksamem Herzen wahrzunehmen, und wünsch Rabbiner Ahrens und den Zuschauern einen friedlichen Schabbat.

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