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Schabbat Wajigasch || Von Tränen, Diplomatie und göttlicher Fügung

Rabbiner Rothschild erklärt, wie Joseph seine Stellung nutzt, um seine Familie zu retten, und warum Jakobs Lebensbilanz vor dem mächtigen Pharao so bitter und ehrlich ausfällt.

Wajigasch (1. Mose 44,18–47,27) ist der vorletzte Wochenabschnitt des ersten Buchs Mose. Er wird im „Wort zum Schabbat“ von Rabbiner Dr. Walter Rothschild erläutert.


Bei ahavta - Begegnungen kannst du den Tora-Abschnitt der Woche in der Übersetzung durch Samson Raphael Hirsch lesen und sogar als Podcast anhören:


Der Fokus der Betrachtung liegt auf der dramatischen Wiedervereinigung der Familie Jakobs. Rothschild betont, dass diese Begegnung zwei völlig unterschiedliche Perspektiven beinhaltet: die Sicht Josefs auf seine Brüder und die Sicht der Brüder auf den ihnen fremd gewordenen ägyptischen Herrscher. Für sie ist Josef zu einem „Alien“ geworden, da er sich optisch und kulturell nicht mehr als einer der ihren erkennen lässt.

Besonders hebt der Rabbiner die psychologische Dynamik hervor. Nachdem sich Juda bereit erklärt hat, anstelle Benjamins in Gefangenschaft zu gehen, um dem Vater Jakob weiteres Leid zu ersparen, kann Josef seine Maske nicht mehr wahren. Bevor er sich jedoch zu erkennen gibt, lässt er alle Ägypter den Raum verlassen. Rothschild interpretiert dies nicht nur emotional, sondern auch als Sicherheitsmaßnahme: Josef prüft, ob „Sicherheit“ besteht, und offenbart sich erst, als sie unter sich sind. Seine erste, sehr persönliche Frage „Lebt mein Vater noch?” zeigt, dass es ihm nicht mehr um den gemeinsamen Stammvater, sondern um seine individuelle Beziehung zum Vater geht.

Rothschild interpretiert Josefs Handeln als göttliche Fügung. Er erklärt seinen geschockten Brüdern, dass nicht sie ihn gesandt haben, sondern Gott, um Leben zu erhalten. Hier zieht der Rabbiner Parallelen zur modernen Migrationspolitik: Josef nutzt seine hohe Stellung und seine „Protekzia” (Beziehungen), um seiner Familie faktisch Einreisevisa und Arbeitserlaubnisse zu beschaffen. Er lädt sie ein, die verbleibenden fünf Jahre der Hungersnot im Land Goschen zu verbringen, wo sie als „privilegierte Ausländer“ unter seinem Schutz stehen werden.

Ein weiterer zentraler Punkt ist die Ankunft Jakobs und dessen Begegnung mit dem Pharao. Rothschild beschreibt dies als ein Treffen auf Augenhöhe: Ein „Beduinen-Scheich“ (Jakob) trifft den „Scheich von Ägypten“ (Pharao). Jakob beschreibt sein Leben dem Pharao gegenüber als „wenig und böse“ und bezeichnet sich als jemanden, der nie wirklich sesshaft war, sondern dessen Leben eine ständige Pilgerschaft darstellte, geprägt von Konflikten mit Eltern, Brüdern, Frauen und dem Verlust geliebter Menschen.

Abschließend weist Rothschild auf die Ironie hin, dass die Familie als Hirten verachtet wird, da Hirten den Ägyptern zuwider sind. Doch genau dieser Status und Josefs Einfluss ermöglichen es ihnen, im besten Teil des Landes zu siedeln. Der Abschnitt endet mit der erfolgreichen Ansiedlung der Familie in Ägypten, womit der Grundstein für den späteren Auszug gelegt wird – auch wenn dieser noch Jahrhunderte entfernt liegt.

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