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Schabbat Ekew || Liebe, Bund und Zivilcourage

Ekew zeigt: Gottes Liebe und Gnade gründen den Bund – Nächstenliebe, Gerechtigkeit und Zivilcourage tragen ihn in die Gesellschaft. Vergebung wird Praxis, nicht Gefühl.

Rabbiner Andrew Steiman spricht zur Parascha Ekew in 5. Mose 7,12–11,25. stellt Ekew als Abschnitt vor, in dem Mose die Beziehung zwischen Israel und Gott als Bund der Liebe und Gnade vertieft und zugleich ethisch-politisch konkretisiert.


Bei ahavta - Begegnungen kannst du den Tora-Abschnitt der Woche in der Übersetzung durch Rabbiner Simon Bernfeld lesen oder sogar als Podcast anhören:


Steiman betont, dass das Deuteronomium die Sprache der Liebe besonders verdichtet: Der Begriff Ahava tritt hier auffallend häufig auf und steht neben Chesed (Gnade), sodass Liebe nicht Gefühl, sondern tragfähige, bundestreue Praxis ist. Gottes Zusage „er wird dich lieben, segnen und vermehren“ knüpft an den Gehorsam gegenüber den Rechtsvorschriften und an die Treue zum Bund der Väter an.

Diese Liebe hat drei Achsen: die Liebe zu Gott (mit ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzer Kraft), die Nächstenliebe („Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“) und die Liebe zum Fremden, begründet in Israels eigener Fremdlingserfahrung in Ägypten. Steiman unterstreicht die Präzision des hebräischen Kamocha: Der Nächste ist „wie du“ – konkret, nah, bekannt; Nächstenliebe ist deshalb anspruchsvoll und zutiefst altruistisch. Zugleich weist er das verbreitete Missverständnis zurück, Liebe sei primär ein „christlicher“ Wert und das „Alte Testament“ vom Vergeltungsmotiv geprägt: Die Tora formt im Gegenteil eine Ethik der Liebe, die gesellschaftlich transformierend wirkt.

Im Dialog wird die sogenannte „Feindesliebe“ entmythologisiert: Jesus’ Rat, die „andere Wange“ hinzuhalten, sei kein universalistisches Pazifismusgebot, sondern ein kluger Kontext-Ratschlag in einer asymmetrischen Machtsituation unter römischer Besatzung; er verbietet nicht Schutz des Lebens oder Rechtswahrung. Liebe bedeute „Gutes tun“ – differenziert, verantwortet, ohne Selbstaufgabe. Daraus folgt: Vergebung ist ein Kernzug der biblischen Liebesethik, aber sie setzt Lern- und Reifungsprozesse voraus, die in der biblischen Geschichte sichtbar werden (vom goldenen Kalb bis zur erneuten Bundessicherung). Gott selbst erscheint als „Gott der Geschichte“, der mit einem „hartnäckigen“ Volk bleibt, es erzieht, vergibt und zugleich Gerechtigkeit fordert.

Ekew verbindet so Liebe mit Zedek/Zedaka: Bundestreue und soziale Ethik bedingen einander. Segen, Land und Sicherheit stehen unter der Bedingung moralischer Verantwortung und Abkehr von Götzendienst; die Eroberung des Landes wird als schrittweise, von Gott geführte Entlastung von feindlichen Kulten beschrieben, nicht als Blankoscheck für Gewalt. Aus dieser Theologie ergibt sich eine Gegenwartsansprache: Zivilcourage ist Ausdruck gelebter Nächstenliebe. Steiman knüpft an jüngste antisemitische Vorfälle an, beklagt das Versagen der Zivilgesellschaft und ruft dazu auf, „zum Nächsten zu werden“ – wie im Gleichnis vom barmherzigen Samariter.

Schließlich ordnet er Ekew liturgisch und zeitlich ein: In den Wochen der Tröstungen nach Tischa beAw bis Rosch HaSchana steht Erneuerung im Zeichen von Liebe, Trost und Hoffnung. Mose spricht am Lebensabend; seine Rede bündelt Erfahrung zu einem ethischen Vermächtnis: Liebe als bundestreue Praxis, Vergebung als Lernweg, Gerechtigkeit als gesellschaftliches Fundament – damit Leben gelingt.

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