Rabbiner Dr. Walter Rothschild spricht zum Schabbat Nachamu und zur Parascha Wa’etchanan in 5. Mose 3,23–7,11 aus einer Zeit tiefer Erschütterung heraus. Der Schabbat des Trostes beginnt nach Tischa b’Aw, dem Gedenktag der Tempelzerstörung, doch Rothschild findet in der traditionellen Haftara aus Jesaja 40 wenig echten Trost.
Bei ahavta - Begegnungen kannst du den Tora-Abschnitt der Woche in der Übersetzung durch Rabbiner Simon Bernfeld lesen oder sogar als Podcast anhören:
Die Schwierigkeit des Trostes
„Tröstet, tröstet mein Volk“ - diese Worte des Propheten wirken paradox, wenn Gott das Volk „doppelt“ für seine Sünden bestraft hat. Rothschild fragt kritisch: Welcher Trost liegt darin, härter bestraft zu werden als verdient? Die Metapher vom Hirten, der seine Herde hütet, erscheint ihm zwiespältig - letztendlich werden auch gehütete Schafe geschlachtet.
Gegenwärtige Herausforderungen
Fast zwei Jahre nach dem 7. Oktober 2023 sieht Rothschild Israel in einer scheinbar ausweglosen Situation. Die Medienberichterstattung empfindet er als überwiegend negativ und verzerrt. Die Geiselnahmen beschreibt er als „Erpressung, absolute Erpressung“ - ein moralisches Dilemma ohne einfache Lösung.
Moses’ Vermächtnis in Wa’etchanan
In der Parascha steht Moses vor seinem Abschied. Er darf das Gelobte Land sehen, aber nicht betreten - ein Beispiel für die Begrenztheit menschlicher Führung. Moses wiederholt die Zehn Gebote und das Schma Jisrael, gibt aber auch strenge Anweisungen für die Landnahme: Die sieben Völker sollen vertrieben werden.
Politische Realitäten
Rothschild weigert sich, konkrete politische Empfehlungen zu geben, betont aber: „Man kann nicht dahin zurückkehren wie es am 6. Oktober gewesen ist“. Gaza bleibt unter Tunneln und Sprengfallen begraben. Eine Rückkehr zum Status quo ante erscheint unmöglich.
Ein schwieriger Trost
Den einzigen Trost findet Rothschild darin, dass Israel noch existiert - mit all seinen internen Konflikten, politischen Debatten und militärischen Herausforderungen. Diese Streitkultur deutet er als Zeichen der Stärke: „Jeder Jude hat mindestens eine Meinung“. Wo kein Streit herrscht, da solle man sich sorgen.
Theologische Reflexion
Die traditionellen Texte bleiben aktuell: Die Zehn Gebote fordern Wahrhaftigkeit und verbieten Mord, doch die Welt scheint diese Werte zu missachten. Rothschild beschreibt das Judentum als „Glaube mit beschränkter Hoffnung“ - diesmal seine einzige humorvolle Bemerkung…
Share this post