Rabbiner Andrew Steiman erklärt den Wochenabschnitt Balak aus 4. Mose 22,2–25,9 als eine Geschichte über Resilienz und jüdischen Humor als Waffen gegen Feindseligkeit. Die zentrale Erzählung handelt von König Balak, der den Propheten Bileam beauftragt, das Volk Israel zu verfluchen, nachdem militärische Mittel gegen die Israeliten gescheitert sind.
Bei ahavta - Begegnungen kannst du den Tora-Abschnitt der Woche in der Übersetzung durch Rabbiner Simon Bernfeld lesen oder sogar als Podcast anhören:
Die sprechende Eselin als Prophet
Eine Schlüsselszene ist die Begegnung zwischen Bileam und seiner Eselin. Steiman betont, dass hier „der Esel zum Propheten und der Prophet zum Esel wird“. Die Eselin sieht den Engel, der den Weg versperrt, während der Prophet blind dafür ist – möglicherweise weil er für seinen Auftrag bezahlt wird und somit korrupt ist.
Segen statt Fluch: Die Bedeutung der Zelte
Anstatt Israel zu verfluchen, segnet Bileam das Volk mit den berühmten Worten Ma tovu ohalecha Jakob, mishkenotecha Israel (Wie schön sind deine Zelte, Jakob, deine Wohnstätten, Israel). Steiman interpretiert dies als Lob für die Anordnung der Zelte, deren Öffnungen so ausgerichtet waren, dass niemand in das Nachbarzelt hineinschauen konnte.
Privatheit als Grundlage der Freiheit
Diese Zeltanordnung symbolisiert einen revolutionären Schritt zur Privatisierung der Sexualität. Während in Ägypten und anderen antiken Kulturen auch die Sexualität politisch kontrolliert wurde, etabliert Israel hier erstmals den Grundsatz My home is my castle. Die Privatsphäre wird zum Fundament der Freiheit, da sie Familienrecht und persönliche Autonomie ermöglicht.
Lob vom Feind als besondere Qualität
Steiman hebt hervor, dass Lob von einem Feind wertvollere Qualität besitzt als Selbstlob. Der Tanach sei „die am wenigsten selbst beweihräuchernde Nationalliteratur der Menschheitsgeschichte“, da die Juden ihre Fehler für die Nachwelt festhalten statt ihre Tugenden zu glorifizieren.
Aktuelle Bezüge und Trost
Der Rabbiner verbindet die Geschichte mit der Gegenwart: Heute gebe es „viele Balaks auf der Welt“, die Israel verfluchen wollen. Er zitiert den Propheten Micha aus der Haftara, der vom „Überrest Jakobs“ spricht, der „wie ein Löwe unter den Tieren des Waldes“ sein wird. Diese Worte sieht Steiman als prophetischen Trost für die aktuelle Situation Israels.
Antisemitismus als Affekt
Steiman charakterisiert Antisemitismus nach Adorno als „Gerücht über die Juden“ und als „Affekt“, nicht als rationale Meinung. Gegen emotionale Vorurteile helfe Bildung allein nicht - es brauche auch emotionale Gegenstrategien. Trotzdem lehnt er die Vorstellung ab, dass Antisemitismus ein unabänderlicher Teil der jüdischen Geschichte sei, da kein Prophet Israel jemals verflucht habe.
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